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Die Eroberung von Plassans - 4

Die Eroberung von Plassans - 4

Titel: Die Eroberung von Plassans - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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getrieben und von Rose und Olympe beraten, begehrte Marthe schließlich auf. Sie brauchte unbedingt fünfhundert Francs. Seit acht Tagen schluchzte Olympe und behauptete, daß einer der von Abbé Faujas indossierten Wechsel »in einer Zeitung von Plassans veröffentlicht werden würde«, wenn sie bis zum Monatsende nicht fünfhundert Francs hätte. Dieser Wechsel, der veröffentlicht werden sollte, diese fürchterliche Drohung, die Marthe sich nicht deutlich erklären konnte, jagten ihr Entsetzen ein und bewogen sie, alles zu wagen. Abends beim Schlafengehen verlangte sie von Mouret die fünfhundert Francs; als er sie verdutzt anblickte, sprach sie von ihren fünfzehn Jahren Entsagung, von den fünfzehn Jahren, die sie in Marseille mit der Feder hinter dem Ohr wie ein Kommis hinter dem Ladentisch zugebracht hatte.
    »Wir haben das Geld zusammen verdient«, sagte sie. »Es gehört uns beiden. Ich will fünfhundert Francs haben.«
    Mit äußerster Heftigkeit brach Mouret aus seiner Stummheit hervor. Sein ganzes geschwätziges Aufbrausen kam wieder zum Vorschein.
    »Fünfhundert Francs!« schrie er. »Ist das für deinen Pfarrer? – Ich stelle mich jetzt dumm, ich schweige, weil ich zuviel zu sagen hätte. Aber man darf nicht glauben, daß ihr euch endlos über mich lustig machen könnt … Fünfhundert Francs! Warum nicht das Haus! Es ist wahr, das Haus gehört ihm! Und er will das Geld, nicht wahr? Hat er dir gesagt, daß du Geld von mir verlangen sollst? – Wenn ich daran denke, daß ich mir zu Hause wie in einem Wald voller Räuber vorkomme! Man wird mir am Ende noch mein Taschentuch aus der Tasche stehlen. Ich wette, wenn ich nach oben ginge, um sein Zimmer zu durchstöbern, würde ich alle meine Sachen hinten in seinen Schubfächern finden. Es fehlen mir drei Unterhosen, sieben Paar Socken, vier oder fünf Hemden; gestern habe ich eine Aufstellung gemacht. Mir gehört nichts mehr, alles verschwindet, alles geht dahin … Nein, nicht einen Sou, nicht einen Sou, verstehst du!«
    »Ich will fünfhundert Francs haben, die Hälfte des Geldes gehört mir«, wiederholte sie gelassen.
    Eine Stunde lang wetterte Mouret, peitschte sich auf, wurde es überdrüssig, zwanzigmal denselben Vorwurf herauszuschreien. Er kenne seine Frau nicht wieder; vor der Ankunft des Pfarrers habe sie ihn geliebt, habe sie auf ihn gehört, habe sie die Interessen des Hauses wahrgenommen. Die Leute, die sie gegen ihn aufhetzen, müßten wahrhaftig sehr boshafte Leute sein. Dann verhaspelte er sich; er ließ sich in einen Sessel sinken, war gebrochen, schwach wie ein Kind.
    »Gib mir den Schreibtischschlüssel«, verlangte Marthe.
    Er richtete sich wieder auf, setzte seine letzten Kräfte in einen äußersten Schrei.
    »Du willst alles nehmen, nicht wahr? Deine Kinder im tiefsten Elend lassen, kein Stück Brot für uns aufheben? – Nun gut! Nimm alles, ruf Rose, damit sie ihre Schürze füllt. Nimm, hier ist der Schlüssel.«
    Und er warf den Schlüssel hin, den Marthe unter ihrem Kopfkissen versteckte. Sie war ganz bleich von diesem Streit, dem ersten heftigen Streit, den sie mit ihrem Mann hatte. Sie legte sich zu Bett; er verbrachte die Nacht im Sessel. Gegen Morgen hörte sie ihn schluchzen. Sie hätte ihm den Schlüssel zurückgegeben, wenn er nicht, obgleich es noch stockfinstere Nacht war, wie ein Irrer in den Garten hinuntergegangen wäre.
    Der Friede schien sich wiederherzustellen. Der Schreibtischschlüssel blieb an einem Nagel neben dem Spiegel hängen. Marthe, die es nicht gewohnt war, große Summen mit einemmal zu sehen, empfand eine Art Angst vor dem Geld. Sie legte zuerst große Zurückhaltung an den Tag, schämte sich jedesmal, wenn sie die Schublade aufzog, in der Mouret stets etwa zehntausend Francs bares Geld für seine Weinkäufe aufbewahrte. Sie nahm genau das, was sie brauchte. Olympe gab ihr übrigens ausgezeichnete Ratschläge: Da sie jetzt den Schlüssel habe, solle sie sich sparsam zeigen. Als sie sah, wie Marthe angesichts des »Schatzes« zitterte, hörte sie sogar eine Zeitlang auf, mit ihr über die Schulden in Besançon zu sprechen.
    Mouret verfiel wieder in sein düsteres Schweigen. Er hatte einen neuen Schlag abbekommen, der noch heftiger war als der erste bei Serges Eintritt ins Seminar. Seine Freunde vom Cours Sauvaire, die kleinen Rentiers, die regelmäßig von vier bis sechs Uhr einen Spaziergang machten, begannen sich ernstlich Sorgen zu machen, wenn sie ihn ankommen sahen mit schlenkernden Armen,

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