Die Erpresserin
Zimmer, als sie den Telefonhörer abnahm. Ich ging über die
Eingangsdiele und öffnete die Haustür. Clay Rawlings stand da, die Hände tief
in die Hosentaschen vergraben, die Schultern gebeugt. Eine dichte Strähne
braunen, mit Grau vermischten Haars fiel ihm in die Stirn, und aus seinem
Mundwinkel hing eine Zigarette. Es war eine ständige Pose aus irgendeinem
seiner Filme oder vielmehr aus allen. Es war die, welche kurz vor der Klärung
einer Situation zu kommen pflegte und die für das beobachtende Publikum
ausdrücken sollte: »Ich bin im Grund ein zugänglicher und gutartiger Bursche,
aber es gibt Zeiten, in denen ich fuchsteufelswild werden kann.« Trotzdem, das
wichtigste Element fehlte, das wurde mir eine Sekunde später klar, als ich die
düstere Leere in seinen Augen sah. Der alte knisternde, herausfordernde Blick
war verschwunden, und zwar vielleicht für immer, dachte ich. Im Augenblick sah
Clay Rawlings wie ein müder Mann mittleren Alters aus, der nur den Wunsch hegt,
sich irgendwo tief in den Wäldern zu verkriechen und zu sterben.
Er
nahm einen tiefen Zug aus der Zigarette und warf sie in einem weiten Bogen auf
die Zufahrt.
»Ich
bin also hier«, sagte er schwerfällig, und selbst seine gedehnte Sprechweise
war verschwunden. »Es war Ihr Einfall, Rick. Ich kann Ihnen nur wünschen, daß
alles klappt.«
»Ich
weiß über Sie und Sonia Bescheid, Clay«, sagte ich mit sachlicher Stimme. »Ich
weiß von Carmel und warum Sie Maxie Snell
hinausgeworfen haben — weil er über das, was Baby anstellen würde,
Befürchtungen zu hegen begann, und ihr erzählte, wo Sie waren.«
»Sie
Dreckskerl«, brummte er.
»Haben
Sie mich nicht dafür engagiert? Damit ich alles über Sie und Sonia
herausfände?« fragte ich ihn.
»Ich
habe Sie engagiert, um sich der Tatsache zu versichern, daß Loomis Angie
umgebracht hat«, sagte er kalt. »Sie wissen das auch!«
»Sie
sind ein lausiger Lügner, Clay«, sagte ich mit großer Aufrichtigkeit. »Sie
haben mich deshalb angeheuert, damit ich genau das herausfinde, was ich herausgefunden
habe, denn die Last der Schuld, die Sie wegen Angies Ermordung mit sich
herumtragen, ist zu groß geworden, als daß Sie sie noch allein tragen könnten.
Wenn Sie der Polizei davon erzählt hätten, wäre die Wahrheit herausgekommen,
und das hätte Sie für alle Zeiten ruiniert. Aber Sie konnten mich engagieren,
damit ich es auf eigene Faust herausfinden, als Richter und Geschworener für
Sie auftreten und Ihnen sagen könnte, wieviel dieses
Schuldgefühls gerechtfertigt ist.«
»Am
liebsten würde ich Ihnen ins Gesicht spucken«, zischte er.
»Das
ist ein weiterer Luxus, den Sie sich im Augenblick nicht leisten können«, sagte
ich.
Er
zuckte gereizt die Schultern. »Was ist mit Sonia? Weiß sie, daß Sie Bescheid
wissen?«
»Klar«,
sagte ich. »Sie wartet im Haus.«
Ich
trat zurück, um ihn eintreten zu lassen, und ging ihm dann voran ins
Wohnzimmer.
Sonia
saß auf der Couch, ihr Glas vorsichtig mit beiden Händen umfaßt haltend.
»Hallo,
Liebster.« Sie lächelte Clay kurz zu. »Plötzlich fühle ich mich meinen
Gastgeberinnenpflichten nicht mehr gewachsen, vielleicht verhilfst du dir
selbst zu einem Drink?«
»Das
ist der beste Vorschlag, den ich bis jetzt gehört habe«, sagte Clay. Er drehte
sich um und strebte der Bar zu.
Sonia
blinzelte mir verschwörerisch zu. »Kein Erfolg«, flüsterte sie.
»War
die Lady nicht zu Hause?«
»Sie
ist vor zehn Minuten weggegangen.«
»Vielleicht
haut es hin«, flüsterte ich und erhob dann meine Stimme wieder zu normaler
Lautstärke. »He, Clay — habe ich mein Glas dort drüben stehenlassen?«
»Woher,
zum Teufel, soll ich das wissen?« fragte er gleichgültig. »Warum lüften Sie
nicht ihren fetten Hintern und sehen selbst nach?«
Ich
ging zur Bar hinüber und fand mein Glas ohne jede Schwierigkeit. Dann blieb ich
stehen und sah zu, wie er sich selbst ein riesiges Glas Scotch auf Eis eingoß.
Als er fertig war, blieb er mit nach einer Seite gesenktem Kopf stehen und
lauschte einen Augenblick auf das dumpfe rhythmische Geräusch.
»Was,
zum Kuckuck, ist das denn?« erkundigte er sich. »Termiten?«
»Reg
dich nicht auf!« sagte Sonia mit unterdrücktem Gelächter in der Stimme. »Dieses
muskelstärkende Donnern bedeutet für mich ebensoviel wie für dich dieses magere
kleine Luder.«
»Wirklich?«
Er trank stetig aus seinem Glas und stellte es dann auf die Bar zurück. »Wie
heißt es denn? Fido?«
»Joey«,
sagte sie.
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