Die erregte Republik
Medien, jede Aktivität wird von vornherein daraufhin überprüft (wenn nicht sogar entworfen), welche Reaktionen in den Medien sie hervorruft. Schon dies bedeutet im Beziehungsgefüge von Politik und Medien einen erheblichen Zuwachs von Macht und Autonomie für die Medien. »Mediendemokratie als Kolonisierung der Politik durch das Mediensystem«, schreibt Thomas Meyer, »verändert die Rolle und die Wirkungsweise der politischen Parteien von Grund auf. In dem Maße nämlich, wie die Parteien nun in erster Linie den Funktionsimperativen der Logik der Medienkommunikation gehorchen müssen oder womöglich wollen, verlagern sich die Zeitverhältnisse ihrer Kommunikationschancen, das Zentrum ihrer verbindlichen Kommunikationswege sowie die Form und die Adressaten ihrer gesellschaftlichen Responsivität. Das Modell einer über lange Fristen hinweg im Gespräch mit vielen zivilgesellschaftlichen Instanzen sich verständigenden |70| Partei, die allmählich zu ausgereiften Beschlüssen und Programmen gelangt, in deren Rahmen sich die öffentlichen Spitzenakteure der Parteien in den Formen ihrer symbolischen Verkörperung und bei der Umsetzung konkreter Politiken bewegen müssen, wird in der Praxis nun eher zum Hemmnis für mediengerechtes Agieren. Während die Parteien dem Namen nach und noch in einigen der Grundzüge ihres äußeren Erscheinungsbildes weiterhin die politische Arena bevölkern, ändert sich ihre Funktionsweise, ihre Substanz und das politische Spiel, in das sie eingebunden sind, von Grund auf. Als diskursive Mitgliederorganisationen geraten sie unter dem Einfluss der Logik der Massenmedien aus dem Zentrum an die unsicheren Ränder des Geschehens. Ihre dem Mediensystem zugewandten Spitzen hingegen gewinnen Einfluss und Entscheidungsspielraum.« 40
Politikdarstellung und Politikherstellung
Die Folge des übermächtig werdenden Medieneinflusses ist eine Veränderung der traditionellen politischen Prozesskette, die idealtypisch aus den Schritten Politikherstellung, Politikvermittlung, Politikdarstellung und Politikwahrnehmung besteht. Die Politikherstellung bezeichnet dabei die Formulierung politischer Projekte durch Parteien, Parlamente oder Kabinette. Hat ein Vorhaben klare Umrisse bekommen, beginnt die Politikvermittlung: Politiker und ihre Sprecher erklären Sinn und Zweck des Unterfangens und werben für ihren Lösungsansatz. An diesem Punkt setzt die Politikdarstellung ein: Medien berichten über das Vorhaben – und dies nicht nur nachrichtlich, sondern auch kommentierend. Sie holen ablehnende Stimmen aus anderen Parteien oder gesellschaftlichen |71| Gruppen sowie von Experten ein und setzen so einen Diskurs in Gang. Am Ende steht als Produkt die Politikwahrnehmung, also die Bewertung des jeweiligen politischen Vorhabens durch die Bürger.
Der Politik müsse es, so der ehemalige stellvertretende Sprecher der Bundesregierung Thomas Steg, darum gehen, »möglichst alle Phasen dieses Politikprozesses zu steuern und zu kontrollieren. Faktisch muss sie jedoch immer wieder konstatieren, dass sich Politikdarstellung und Politikwahrnehmung, ja tendenziell bereits die Phase der Politikvermittlung als Zonen der Ungewissheit erweisen. Was als politische Selbstdarstellung und geplante Kommunikation intendiert ist, schlägt objektiv um in eine Fremddarstellung durch Journalisten und Medien.« 41 Dies muss nicht unbedingt negativ sein. Erstens können politische Projekte einer Partei oder Interessengruppe durch die Umwandlung von Selbst- in Fremdbeschreibungen höhere Weihen erhalten – nämlich dann, wenn sie in den Medien auf Zustimmung stoßen und dort wohlwollend kommentiert werden. So wird aus dem Vorhaben einer Interessengruppe ein Vorschlag, der gesamtgesellschaftlich positiv wahrgenommen wird. Und zweitens gehört es in einer Demokratie natürlich zu den fundamentalen Rechten der Medien, sich auch kritisch zu äußern oder andere Akzente zu setzen.
Die eigentliche Störanfälligkeit jenes Transferprozesses, der für die Politikvermittlung essentiell wichtig ist, leitet sich nicht von der Entscheidung ab, ob die Medien sich zustimmend oder ablehnend zu einem bestimmten Thema positionieren. Die Schwierigkeit liegt darin begründet, dass die Medien sich politischen Themen nur aus der Perspektive ihrer eigenen Medienlogik nähern. Ihr Interesse geht nicht dahin, die Realität abzubilden oder den Kontext deutlich zu machen, in dem die Politik agiert. Vielmehr nutzen sie politische Nachrichten und |72| auch die
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