Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die erregte Republik

Die erregte Republik

Titel: Die erregte Republik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thymian Bussemer
Vom Netzwerk:
Erkenntnis führte, dass man mit der Hauptstadtpresse rigider umgehen müsse. Dies erwies sich allerdings als schwierige Operation, denn die rotgrüne Regierung hatte von Anfang an auf eine enge Beziehung zu den Medien gesetzt. Stärker als an politischen Projekten wurde im Umfeld Schröders an medialen Inszenierungen gearbeitet. Ob die Erfindung eines Staatsministers für Kultur im Wahlkampf oder die Einführung einer
green card
für indische IT-Spezialisten zu Beginn der Regierungszeit: Die Politikformulierung der Regierung Schröder/Fischer fand ganz überwiegend weder im Kabinett noch im Koalitionsausschuss statt, sondern wurde auf der Wegstrecke zum nächsten Großereignis ad hoc formuliert und direkt den Medien durchgestellt. Richard Meng, der viele Jahre Politikkorrespondent der
Frankfurter Rundschau
war, beobachtete: »Sucht man nach den zentralen politischen Botschaften der rot-grünen Jahre, so findet man |100| sie interessanterweise jenseits der Ankündigungen zu Beginn der Legislaturperiode. Sie sind nicht aus parteipolitischen oder parlamentarischen Willensbildungsprozessen entwickelt worden. Sie entstanden insofern ungeplant, aus der Situation heraus. Zugleich waren sie in jeder Hinsicht kalkuliert, vor allem hinsichtlich ihrer Kommunizierbarkeit – und was für den Erfolg entscheidend ist: Sie ermöglichten der veränderten Medienwelt, mit klaren Botschaften zu arbeiten und nicht differenzierte, komplizierte Abwägungsprozesse nachzeichnen zu müssen.« 67
    Schröder selbst erklärte, zum Regieren brauche er nur »Bild, BamS und Glotze«. Das klappte mal besser und mal schlechter. So zahlte er selbst teures Lehrgeld, als er seine Medienaktivitäten der Kandidatenzeit als Kanzler nahtlos fortschrieb. Die Fotos mit Brioni-Anzug und Zigarre, welche die Klatschzeitschrift
Gala
1999 von ihm druckte, hätten sich unter anderen Rezeptionsbedingungen nahtlos in die von Schröder lange glaubhaft verkörperte Geschichte des Aufsteigers aus kleinen Verhältnissen, der es ganz nach oben schafft, fügen können. Doch nun war Schröder Kanzler einer wankenden Regierung, und die Bilder wurden ihm allseits übel genommen. Der letzte große Auftritt als »Spaßkanzler« war am 20. Februar 1999. Da stand schon der Kosovokrieg vor der Tür – die erste militärische Auseinandersetzung seit 1945, an der Deutschland direkt beteiligt war. Und bei
Wetten, dass …?
saß Schröder neben Showstars wie Veronica Ferres und Harald Schmidt. Am Ende der Sendung holte er wie ein dienstbeflissener Chauffeur eine ältere Dame aus dem Publikum ab, öffnete ihr die Tür eines Audis und fuhr sie von der Bühne. Anschließend lud er sie in ein Restaurant zum Essen ein, worüber die
Bild
-Zeitung am nächsten Tag groß berichtete. 68 Spätestens da hatte Schröder überzogen.
    Der Kanzler war aber nicht der einzige rot-grüne Spitzenpolitiker, |101| der durch Präsenz in TV und Boulevardmedien nach Prominenzzuwachs strebte. »Sieben Jahre Rot-Grün, das sind auch sieben Jahre über Politiker-Frauen, -Kinder, -Hunde«, stellte Tissy Bruns, als 2005 alles vorbei war, ernüchtert fest. 69 Schröders glückloser Verteidigungsminister Rudolf Scharping, der politisch vor allem dadurch auffiel, dass er im Kosovokrieg auf den sogenannten Hufeisenplan, eine Fälschung des bulgarischen Geheimdiensts, hereinfiel, blamierte sich 2001 nach Ehescheidung und einer nicht sehr sozialdemokratischen Hinwendung zu seiner Gräfin Pilati (die freilich ganz bürgerlich als Kristina Paul geboren wurde und sich ihren vollen Namen Kristina Gräfin Pilati-Borggreve mittels zweier Ehen zusammengestoppelt hatte), durch peinliche Pool-Fotos, die die
Bunte
inszeniert hatte. Als dann noch herauskam, dass er sich von dem umstrittenen PR-Berater Moritz Hunzinger Herrenanzüge hatte kaufen lassen, war er nicht mehr im Amt zu halten. Hier kam beides zusammen: die dürre Peinlichkeit von Scharpings Versuch, sich als Lebemann zu präsentieren, und die Tatsache, dass der Verteidigungsminister wie ein Pubertierender im Pool planschte, während deutschen Soldaten auf dem Balkan im Auslandseinsatz standen.
    Joschka Fischers langer Lauf zu sich selbst
    Erfolgreicher war da Joschka Fischer, der zweite große Medienstar der rot-grünen Regierung. Er ließ schon lange vor der Übernahme des Außenministeriums die Öffentlichkeit an seinen Gewichts- und Liebesproblemen teilhaben. Umgekehrt war er aber auch geschickt genug, sich – anders als Guido Westerwelle elf Jahre später –

Weitere Kostenlose Bücher