Die erregte Republik
Wahlkampfes in diesem Jahr hat sich von der vergangener Jahrzehnte tatsächlich unterschieden« 77 , doch real geschah wenig, um zu klären, auf welche Spur die Medien im Bundestagswahlkampf nun geraten waren. Einen der bemerkenswertesten Debattenbeiträge lieferte Ende Januar 2006 Bernd Ulrich. Er gehörte – neben dem
stern
-Politikchef Hans-Ulrich Jörges und den
Spiegel -Redak teuren
des Hauptstadtbüros – zu den wegen ihrer angeblichen Parteinahme für Angela Merkel am stärksten von links angegriffenen Journalisten. Sein Stück »Verstehen oder verachten« aus der
Zeit
von Anfang 2006 verdient eine genauere Analyse. Denn Ulrich wies die den Medien vorgeworfenen Manipulationsabsichten nicht nur zurück, sondern unterstellte umgekehrt der SPD unlautere Motive: Schröder und Müntefering hätten |112| am 22. Mai 2005 Neuwahlen ausgerufen, die sie von vornherein verlieren wollten. »Dennoch versuchten sie, den Menschen und den Medien das Gegenteil weiszumachen (…). Allein der Plan ging schief, die Medien ließen sich nicht bluffen, die Leute auch nicht. Das ärgerte den Medienkanzler Schröder und den Medienliebling Fischer. Da ihr Versuch, die Medien zu manipulieren, fehlgeschlagen war, behaupteten sie, die Medien hätten ihrerseits versucht, den Wahlkampf zu manipulieren und Rot-Grün wegzuschreiben.« 78 Auch dieses Argument ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Offenbar hatten viele Journalisten schon die Neuwahlentscheidung Schröders als Rücktritt auf Raten interpretiert, was sie dazu verleitete, so der ehemalige Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye, »das Fell des Bären zu verteilen, bevor er erlegt war – was wiederum den Kampfeswillen des Bären weckte«. Während Schröder es im Wahlkampf wirklich noch einmal wissen wollte, glaubten die Medienbeobachter, sie wohnten der Abschiedsshow eines alternden Tanzbären bei. Dies verweist auf die Inszenierungsdimension von Politik, die manche Journalisten glauben lässt, alles, was auf der politischen Vorderbühne geschehe, sei zur Manipulation der Medien ersonnen worden. Bemerkenswert an Ulrichs Stück ist allerdings weniger die Bewertung von Gerhard Schröder, sondern die von Angela Merkel. Im Umgang mit ihr – so Ulrich – rege sich in den Medien plötzlich »ein sportliches Gefühl: Fairness. So ist einstweilen diese Stimmung entstanden, man will bei der neuen Regierung erst mal hinsehen und nicht gleich hinlangen.« Was aber kann das heißen, außer dass bei Rot-Grün vorher kräftig hingelangt wurde?
Für Verbitterung sorgte im rot-grünen Lager vor allem die Tatsache, dass es vielfach alte Weggefährten und als liberal geltende Presseorgane waren, die nun offen gegen die Koalition opponierten. Auffällig war dies vor allem beim
Spiegel
, beim |113|
stern
und partiell bei der
Zeit
, weniger offensichtlich bei der
taz
und der
Süddeutschen
. 1998 und auch noch 2002 profitierte Rot-Grün vom publizistischen Mainstream, 2005 war das anders. Dass sich die Meinungen von politischen Journalisten und die redaktionellen Linien der großen Presseorgane ändern können, müssen alle politischen Parteien akzeptieren. Entscheidend ist die Frage, aus welchen Gründen sich der Tenor der Berichterstattung dreht. Und hierauf hat es 2005 keine überzeugende Antwort aus den Redaktionen gegeben. Natürlich hatte Rot-Grün handwerkliche Fehler gemacht. Und natürlich dümpelte das Land spätestens seit 2001 in wirtschaftlicher Stagnation dahin. Doch kann dabei nicht übersehen werden, dass die rot-grüne Regierung durchaus eine Modernisierung des Landes eingeleitet hat – von Homo-Ehe und Zuwanderung bis Riester-Rente und Hartz-Gesetzen –, die sich über weite Strecken mit den in der Öffentlichkeit als erforderlich angesehenen Reformen deckte. Woher also die Verhärtungen, die Entschlossenheit, mit der viele gegen die Regierung anschrieben?
Richtig wie im Tollhaus ging es dann nach der Wahl zu, als das allgemein erwartete schwarz-gelbe Bündnis keine Mehrheit hatte und eine andere Koalition gebildet werden musste. Besonders beflügelnd auf die Hauptstadtmedien wirkte die Aussicht auf eine sogenannte Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen, denn die versprach bunte Farben und eine gehörige Portion Exotik. So heuerte ein Team von
Stern-TV
eine Reihe von Jamaikanern an, die sich vor dem Reichstag als neue Bundesregierung ausgaben. Ein Journalist zitierte die jamaikanische Botschafterin Marcia Yvette Gilbert-Roberts, die ankündigte, sie werden alle
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