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Die erregte Republik

Die erregte Republik

Titel: Die erregte Republik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thymian Bussemer
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sozial, weil sie Hoffnung suchen und Vertrauen investieren wollen. Die einen können’s einfach nicht, die anderen vielleicht. Und dieses vagabundierende Vertrauen lädt Angela Merkel auf. Mit Sympathien und Hoffnungen. Ähnlich wie damals, als sie nach Kohls Spendenskandal die am Boden liegende CDU übernahm und in ihrer Partei zu ›Angie‹, Kandidatin der Herzen, wurde. Damals übernahm sie eine verzweifelte Partei, diesmal ein verzweifelndes Land. Die noch immer unbekannte, unbeschriebene Frau, die Frau mit den zwei Gesichtern – einem verhärmten, verdrießlichen, verspotteten und einem charmanten, lächelnden, linkisch verschmitzten – wird zur Projektionsfläche für die Emotionen des Volkes. Ihre vermeintliche Schwäche – Frau, und auch noch aus dem Osten! – wandelt sich zur Stärke eines Neubeginns. Die strahlende Kandidatin, die das erste Gesicht abgestreift hat wie eine Maske, ist nicht nur mit eigener Kraft aufgeladen, sie reflektiert kollektive Energie. Dieser Vertrauensvorschuss ist ihr wahrer, ihr einziger Schatz, den sie eisern zu hüten hat vor den Zockern am Spieltisch der Opposition.« 73 Jörges war nicht der einzige, der so schrieb. Die
Zeit
-Redakteurin Susanne Gaschke stellte zehn Tage vor der Wahl indigniert fest, dass auch ihr eigenes Blatt die Aussage »Merkel wird Kanzlerin« ohne »jeden relativierenden Zusatz« 74 drucke, während der
Spiegel
sich schon detailliert den Fehlern widme, welche die neue Amtsinhaberin |110| machen werde. Der
Ringier
-Chefpublizist und Freund des Kanzlers Frank A. Meyer sprach gar von der »Abschaffung des Wahlkampfes durch die mediale Vorwegnahme des Resultats«. 75 Selten seien »ein Bundeskanzler und seine Regierung von den Medien so geprügelt, verspottet, so ab- und niedergeschrieben worden wie Rot-Grün in diesem Wahlkampf«, sekundierte der ehemalige
Bild
-Chef Udo Röbel. Dies ist die eine These, die bis heute im Raum steht. Gestärkt wurde sie auch dadurch, dass die Medien sich im Wahlkampf sehr auf Horse-Race-Berichterstattung konzentrierten, also primär über die aktuellen Umfrageergebnisse und nicht über Inhalte berichteten und entsprechend Metaberichterstattung über Stimmungen betrieben, die sie selbst angeheizt hatten. Pech nur, dass die demoskopischen Daten am Ende so gründlich daneben lagen, denn das machte auch die Medien angreifbar. Und rückblickend erwiesen sich Schlagzeilen wie die von Springers
Bild am Sonntag
, die schrieb: »Rot-Grün zu dumm zum Selbstmord?«, oder jene der
taz
, die über einem Bild des Kanzleramts titelte: »Raus hier, aber dalli«, als im Hinblick auf den Wählerwillen wenig zutreffend.
    Die Gegenposition zur Manipulationsthese wird bis heute von Medienpraktikern, also vor allen den Chefredakteuren, Intendanten und professionellen Medienjournalisten vertreten. Diese verweisen darauf, dass eine der Hauptaufgaben des Journalismus in einer kritischen Begleitung der Mächtigen besteht, wobei diejenigen mit Regierungsmacht nun einmal naturgemäß im Mittelpunkt stünden. Mit Helmut Kohl sei man ja auch nicht zimperlich umgegangen. Rot-Grün habe sich nun einmal primär durch inkonsistente Politik und handwerkliche Fehler ausgezeichnet, und die Medien hätten im Jahr 2005 nur den Finger auf die offene Wunde gelegt, mehr nicht. Die laut verkündete Erwartung, nach dem 18. September eine andere Regierung |111| zu haben, sei durch die aktuellen Umfragewerte gedeckt gewesen, die demoskopische Erholung der SPD habe erst in der Schlussphase des Wahlkampfs stattgefunden. Und schließlich sei Angela Merkel ja doch noch Kanzlerin geworden. Fazit: In den Redaktionen habe man sich nichts vorzuwerfen, und die SPD versuche, mit geballter Medienschelte vom Machtverlust und der Erosion der eigenen Basis abzulenken. »Wenn Schröder und Co. so lautstark über die angebliche Verluderung der journalistischen Sitten klagen, so ist das nichts anderes als der Zorn darüber, dass die Medien sich eben nur bedingt instrumentalisieren liessen«, urteilte etwa die
Neue Zürcher Zeitung
. 76
    Dies war die Konfliktstellung zwischen SPD und Medien nach der Bundestagswahl 2005. Gerhard Schröders brachiale Medienkritik nach dem überraschend guten Abschneiden der SPD sprach damals einem großen Teil seiner Partei aus der Seele. Der
Zeit
-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo mahnte zwar in einem Leitartikel Ende September 2005, die Medien müssten nun einen Moment innehalten und die eigene Rolle reflektieren, »denn die Kommentierung des

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