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Die erregte Republik

Die erregte Republik

Titel: Die erregte Republik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thymian Bussemer
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erste große Schaulaufen für die neue Medienrepublik und die in ihr herrschenden Kommunikationsverhältnisse war 1999 die CDU-Spenden affäre . Einerseits war sie die journalistische Begleitung einer der größten Affären der Republik, andererseits hatte sie auch Züge einer Treibjagd: Altkanzler Helmut Kohl wurde von Reportern verfolgt, wenn er aus unangenehmen Befragungen floh und schnurstracks die nächste Filiale von »Butter Lindner«, einem Berliner Feinkostfilialisten, anstrebte. Am nächsten Tag konnte man in den Zeitungen lesen, mit welchen Delikatessen sich Kohl über seinen tiefen Fall hinwegtröstete und es wurde penibel ausgezählt, wie viele Frikadellen er bei Lindner gekauft hatte. Die Reporter, ganz überwiegend selbst noch neu in der Stadt, beschrieben die Szenerie wie Touristen im Zoo – mit |120| dem Altkanzler als Elefanten im Mittelpunkt. Kohl giftete sarkastisch zurück: »Es gibt keinen lebenden Deutschen, der von den Massenmedien so gut behandelt wird wie ich. Deswegen bin ich schon beim Aufstehen und beim Zubettgehen voller Dankbarkeit.« Erschreckt konstatierte der
Zeit
-Journalist Gunter Hofmann damals: »Es gibt eine wirkliche Affäre. Und eine wirkliche Konkurrenz auf dem Medienmarkt gibt es auch. In Berlin kommt das alles zusammen. Härter, manchmal brutaler. Eine ›Hetzjagd‹? Nicht im politischen Sinne. Ebenso wenig werden Menschenrechte verletzt, wie Kohl dräut. So herrscht er Journalisten an, ›es geht Ihnen doch gar nicht um die Wahrheit, das steht Ihnen im Gesicht geschrieben‹. Doch, es geht um die Wahrheit, aber nicht nur. Sie wollen auch einfach Bilder und Stoff. Und manche sind nicht trittsicher auf dem politischen Parkett; in Berlin ging es für die Medien früher um Gasexplosionen, gelegentlich um eine kleine feine Mordsache oder Eberhard Diepgen.« 84
    Eine Zuspitzung erfuhr die Tendenz zum
pack journalism
, zur geballten Verfolgung einzelner Politiker durch ganze Rudel von Journalisten, als der CDU-Vorsitzende Wolfgang Schäuble ins Zentrum der Spendenaffäre rückte. Die Journalisten jagten Schäuble wie vorher Kohl. Doch Schäuble ist Rollstuhlfahrer und konnte aus eigener Kraft kaum fliehen. In Bonn gab es klare Tabus, was den Umgang mit Schäubles Behinderung anging. In Berlin versuchten auf dem Höhepunkt der Affäre Kamerateams zu filmen, wie der hilflose Schäuble von Mitarbeitern aus dem Auto gehoben und in seinen Rollstuhl gesetzt wurde. Das war ohne Frage nicht mehr Journalismus, sondern nur noch Voyeurismus. Immerhin: ein paar der alten Bonner Reflexe funktionierten noch. Es kam zu einer Rempelei unter Journalistenkollegen, andere Reporter verhinderten, dass solche entwürdigenden Bilder von Schäuble entstanden. Die Fotografin |121| Herlinde Koelbl prägte in dieser Zeit den Ausdruck »die Meute«, der dem versammelten Berliner Korrespondentenkorps seitdem anhängt. »Jagdfieber« nannte die Deutsche Vereinigung für Parlamentsfragen im Sommer 2004 nicht umsonst ein Forum zum Thema »Journalisten und Politiker in der Berliner Republik«. Und der langjährige
Spiegel
-Reporter Jürgen Leinemann beschrieb in der Zeitschrift
Cicero
eine Szene in einem Berliner Hauptstadtbüro: »Ein erfahrener Auslandskorrespondent, der seinen Bürochef um Genehmigung für ein Politiker-Porträt bat, erfuhr von dem herablassend, dass die Zeiten, in denen Reporter Politiker begleiteten, um sie beobachten, verstehen und beschreiben zu können, nun wirklich vorbei seien. Ach, sagte der Berlin-Neuling, und was machen wir jetzt? Antwort: ›Wir jagen sie.‹« 85
    Neue Moden in Mitte
    Die frühen Berliner Jahre waren auch die Zeit, in der sich eine Reihe von journalistischen Moden etablierte, die das politischmediale Geschäft in Berlin bis heute prägen. Die sogenannten Vorabs kamen auf, kurze, schlagzeilenträchtige Meldungen, die Zeitungen schon vor dem Erscheinen ihrer Artikel an die Nachrichtenagenturen geben, um der eigenen Geschichte bei Erscheinen maximale Resonanz zu sichern. Die Folge war das unverblümte Schielen von Journalisten auf agenturfähige Zitate, die immer mehr an die Stelle von zusammenhängenden Interviews und Berichten traten. Nicht mehr die Leser oder Zuschauer waren hier die Referenzmarke für die Berichterstattung, sondern die eigenen Kollegen. Selbstbezüglichkeit wurde so mehr und mehr zum Merkmal der Medienproduktion. Eine Steigerung erlebte auch die »Exklusivitis«, der Wunsch, irgendetwas |122| melden zu können, was die anderen nicht hatten.

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