Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die erregte Republik

Die erregte Republik

Titel: Die erregte Republik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thymian Bussemer
Vom Netzwerk:
wird allerdings zunehmend zum Selbstzweck, die enorme Konkurrenz um Aufmerksamkeit zwingt Redaktionen und Agenturen, immer früher in die Berichterstattung einzusteigen, schon vage Gerüchte zu melden und dann wieder scharfe Dementis zu bringen. Bedenkt man dann noch, dass sich die großen Nachrichtenagenturen untereinander heftig befehden und um Aktualität |127| und Vollständigkeit der Nachrichtenlage konkurrieren, wird klar, warum der von den Agenturen tagtäglich angerührte Nachrichtenbrei der Haupttreiber der immer stärker zunehmenden politisch-medialen Beschleunigung ist. Diese kann sich auf verschiedene Weisen ausdrücken: durch eine erhöhte Umschlaggeschwindigkeit von Nachrichten, durch eine größere Schlagzahl des Diskurstempos, durch einen immer erratischeren Wechsel von nur noch lose verkoppelten Positionen und Gegenpositionen. Das Ergebnis ist stets dasselbe: erhöhter Handlungsdruck auf die Politik als die zentrale gesellschaftliche Regelungsinstanz bei nachlassender Transparenz der Problemlage für die Bürger.
    An ihrer Basis ist Beschleunigung zunächst ein rein medientechnologisches Phänomen: Eine sich ständig verbessernde Nachrichtentechnik ermöglicht einen immer schnelleren Umschlag von Informationen. Gleichzeitig erhöht sich aber die Komplexität der zu bearbeitenden Fragen und Problemstellungen – einerseits einfach dadurch, dass mehr Informationen verfügbar sind, andererseits dadurch, dass immer mehr Anspruchsgruppen bei einem bestimmten Thema mitreden wollen. Zudem steigt die Zahl der zur Verfügung stehenden Medienkanäle und damit die Menge der zirkulierenden Botschaften. Dadurch wird der Handlungsdruck auf das politische System insgesamt größer – bei zunehmend fragwürdiger Relevanz des verhandelten Stoffes, denn Quantität und Qualität sind auch hier zwei verschiedene Dinge. Beschleunigung ist aber nicht auf die Medien beschränkt. Es gibt auch eine realpolitische Beschleunigung. Denn durch die zunehmende internationale Vernetzung und steigende wechselseitige Abhängigkeit der nationalen Politik wächst auch der supranationale Abstimmungsbedarf, dadurch, dass die Nationalstaaten mehr und mehr Kompetenzen nach Europa abgeben, wird die |128| enge Koordination auf europäischer Ebene immer wichtiger. Gleichzeitig steigt im Inneren der Länder der Regelungs- und Reformbedarf, schon bedingt durch die immer weiter gehende Verrechtlichung aller Lebensbereiche, das Vordringen von Politik in immer weitere Räume des bürgerschaftlichen Zusammenlebens. All dies zusammen katapultiert die Politik ins Turbo-Zeitalter, muss sie doch nach außen und innen ständig agieren und auf alles reagieren, Felder besetzen, die eine zunehmend fahnenflüchtige Bürgergesellschaft bei ihrem Rückzug ins Private unbestellt zurücklässt, und Probleme angehen, die ihr die Medien auf den Leib schreiben. Wie viel Beschleunigung aber verträgt ein hochkomplexes politisch-gesellschaftliches System, bevor es unwiderruflich aus der Bahn geworfen wird?
    Wie sehr sich das Tempo im politisch-medialen Raum beschleunigt hat, zeigt ein Blick zurück in die Welt der Adenauer-Jahre. 1952 forderte Otto Lenz, Adenauers Staatssekretär im Bundeskanzleramt: »Wir müssen alle vierzehn Tage etwas Neues auf einer Pressekonferenz sagen können.« 93 Heutzutage würde eine Frist von zwei Wochen als beinahe ewiges Schweigen ausgelegt werden und Anlass zu der Spekulation geben, ob die Regierung überhaupt noch da ist. Blickt man noch weiter zurück, wird überdeutlich, wie eng die Welt mittlerweile zusammengewachsen ist. Der Tod Napoleons auf St. Helena am 5. Mai 1821 wurde in der Londoner
Times
als erster Zeitung zwei Monate später gemeldet, am 4. Juli 1821. Als Adolf Eichmann am Abend des 11. Mai 1960 in einem Vorort von Buenos Aires von Mossad-Agenten gekidnappt und nach Israel gebracht wurde, war dies eine Weltsensation. Doch die Nachricht von Eichmanns Entführung erfuhr die Welt erst dreizehn Tage später, am 24. Mai, als Ministerpräsident David Ben Gurion die Knesset – nicht die Medien! – darüber informierte. Heutzutage, wo man Barack Obama zugucken kann, wie dieser der Tötung von |129| Usama Bin Ladin zusieht, wäre dies ein unvorstellbarer Vorgang – nicht ausschließlich wegen der verbesserten Medientechnik. Denn auch in früheren Zeiten gab es schon
breaking news
, die sich in Windeseile um die Welt verbreiteten: Die Meldung vom Tod Mahatma Gandhis lief 1948 schon wenige Minuten nach dem Schuss des

Weitere Kostenlose Bücher