Die erregte Republik
erfahren soll. Politiker geben geheime Informationen preis und appellieren gleichzeitig an die Verantwortung der Journalisten, diese nicht zu veröffentlichen. Sie sagen also das, was sie eigentlich nicht sagen können. So kann man ihnen nicht vorwerfen, Informationen zurückgehalten zu haben, und trotzdem halten sie bestimmte Themen aus der Öffentlichkeit heraus. Die Verantwortung liegt nun bei den Journalisten, die sich in schwierigen Abwägungsprozessen zwischen der Nähe zur politischen Klasse und dem Unterrichtungsanspruch des Publikums entscheiden müssen. Diese Entscheidung kann mal in die eine, mal in die andere Richtung ausfallen. Zumindest im Hinterzimmer gibt es also noch wirkliche Aushandlungsprozesse zwischen Medien und Politik, deren Resultate keineswegs von vornherein feststehen. Doch dies sind Orte, von denen man die Bürger sorgfältig fernhält.
Telepolitik
Die für alle sichtbare Vorderbühne bilden dagegen vor allem die Talkshows, die zu zentralen Orten der politischen Kommunikation geworden sind. Hier wird Politik frei von allen Ambivalenzen als unaufhörlicher Streit klar geschiedener Positionen inszeniert. Hier darf der deutsche Politiker so sein, wie er gerne wäre, aber definitiv nicht ist: entschlossen, tatkräftig, unbeirrt und frei von Zweifeln. Talksendungen sind bei Politikern deshalb so beliebt, weil sie ihnen eine weitgehend unkontrollierte und von redaktionellen Eingriffen freie Präsenz auf dem Bildschirm ermöglichen. Wegen dieser Vorzuüge neigen die Politiker dazu, ihre Wirkung grotesk zu überschätzen. Denn Talkshows haben zwar große Reichweiten, stehen aber bei den Zuschauern nicht hoch im Kurs. In den Augen der meisten |181| Menschen sind sie reine Laberveranstaltungen. Und ganz unrecht haben sie damit nicht: Politik wird hier weniger erklärt als vielmehr zerredet, politischer Informationsgewinn und -nutzen sind in der Regel gering, wenn Fachexperten, Parteipolitiker und Betroffene gemeinsam neunzig Minuten lang durch ein aktuelles politisches Thema mäandern. Die Dialoge in den Talkshows sind in den seltensten Fällen echte Zwiegespräche. In der Regel dienen sie nur dazu, die Plattform für die eigene, schon lange im Vorfeld ersonnene Forderung herzustellen.
Trotz dieser offensichtlichen Dürftigkeit des Polit-Talks ist die Dominanz der Talk-Formate bis heute ungebrochen. Derzeit gibt es im deutschen Fernsehen 34 abendliche Talksendungen. Im Durchschnitt haben diese vier Gesprächsgäste. Dies macht 136 Gäste pro Woche oder 7072 im Jahr. Seit dem Herbst des Jahres 2011 sendet die ARD von Montag bis Freitag an jedem Abend eine Talksendung. Auch wenn das dort zu besichtigende Personal stets mehr oder minder dasselbe ist, ist hier ein reges Geschäftsfeld für die Etablierung von Medienprominenten entstanden. Eine Zeitlang war es sogar üblich, in PR-Bera terverträge die Platzierung der Kunden in bestimmten Talkshows aufzunehmen. Zu den Dauergästen des deutschen Talkbetriebs gehören zum Beispiel der bayerische Landesminister Markus Söder, der FDP-Politiker Gerhart Baum, der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, der niedersächsische Kriminologe Christian Pfeiffer, Heiner Geißler von der CDU und Gregor Gysi von der Linkspartei, die Journalisten Hans-Ulrich Jörges, Roger Köppel und Michael Jürgs oder der Ökonom Hans-Werner Sinn. Sie alle reden sich Abend für Abend die Köpfe heiß. Man kann fast den Eindruck haben, die politische Klasse suche die Verständigung mit sich selbst und ihren Wählern vor allem auf dem Bildschirm. Bundestagpräsident Norbert Lammert legte seinen Parlamentskollegen einmal |182| eine mehrjährige Talkshow-Pause ans Herz, weil die beachtliche Präsenz von Politikern in immer mehr Talkshows keine nachhaltige Verbesserung des Ansehens der Politiker bewirkt habe. Dass seine Kollegen sich daran halten, kann als ausgeschlossen gelten. Selbst wenn in Politiker- und Journalistenkreisen stets etwas abfällig über »Plasberg gestern Abend« oder »Will am Sonntag« geredet wird, gilt doch die Präsenz in diesen Sendungen als Ausweis von A-Prominenz. Das ist nur folgerichtig, sind doch Talkshows der Inbegriff der Personalisierung von Politik. Talkshow-Redaktionen orientieren sich bei der Planung ihrer Sendungen ausschließlich am zu Verfügung stehenden Personal, jedes Thema ist von vornherein mit einer Besetzungsliste unterlegt. Dabei arbeiten die Redaktionen erstaunlich schmerzfrei. Es schert sie nicht, dass man die Personen, die man an einem
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