Die erregte Republik
sitzt Ihnen plötzlich eine Frau gegenüber, die Ihnen einfach nur zuhört. Und dann geht die Geschichte irgendwann im Bett weiter. Dazu der Alkohol: Sie könnten, weil Sie ständig in Terminen sind, den ganzen Tag trinken. Eine Flasche Wein ist da gar nichts, leicht zu verteilen auf fünf Termine. Und abends geht es richtig los. Sie betreten bestimmte Restaurants und sehen schon diese glasigen Augen in den Rotweingesichtern Ihrer Kollegen. ›Kubicki‹, rufen die beseelt, während Sie noch in der Tür stehen, ›Kubicki, setz dich zu uns.‹ Aber wissen Sie, auch mein Leben ist endlich. Ich bin jetzt 58, ich will meine politische Karriere überleben.« 165 Auch wenn dieses Interview absonderliche Passagen enthält – der Leser lernt zum Beispiel, dass Kubicki sich am besten mit seiner Sammlung alter Kriegsfilme wie
Steiner, das eiserne Kreuz
entspannen kann –, gibt es doch seltene Binneneinblicke in die Psyche eines Spitzenpolitikers. So berichtet Kubicki davon, dass er beim Publik-Werden eines Skandals, bei dem es um die Vermischung seiner politischen und anwaltlichen Tätigkeit ging, zehn Minuten lang sehr intensiv überlegt habe, ob er sich das Leben nehmen solle. Nach seinem damaligen Rücktritt sei der
F.A.Z.
-Redakteur Volker Zastrow zu ihm gekommen und habe ihm prophezeit: »Kubicki, Ihre politische Karriere hat sich damit erledigt. Kubicki, Sie sind wie ein Boxer, der sich einen schlimmen K.o. eingefangen hat. They never come back.« Doch Zastrow irrte. Auch Kubicki gehört zu jenen Polit-Junkies der Republik, die immer zurückkommen. Heute ist er Vorsitzender der FDP-Fraktion im schleswig-holsteinischem Landtag und Mitglied im Bundesvorstand der FDP.
|188| Das von Kubicki beschriebene doppelte Suchtpotenzial der Politik als Sucht nach Politik und dem von Politik ausgelösten Suchtverhalten ist auch von anderen Spitzenpolitikern so geschildert worden. Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Michael Glos befand: »Ein Abgeordnetenleben in der Hauptstadt ist ein permanenter Ausnahmezustand. Die Versuchungen sind vielfältig. Ich kann mich an keinen sogenannten parlamentarischen Abend eines Verbandes, einer Botschaft, einer Lobby erinnern, bei dem das Alkoholangebot nicht reichhaltig war. Ich habe Kolleginnen und Kollegen durch den Alkohol sterben sehen. Das hat auch etwas mit der Einsamkeit des Politikers zu tun.« 166 Der damalige niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder beschrieb schon 1993 in seinem Buch
Reifeprüfung
die von der Politik ausgehenden Suchtgefahren und porträtierte sich selbst als einen »Gefährdeten«, der sich durch die Ausübung von Macht verändere. Seine Parteikollegin Heide Simonis, damals noch Finanzministerin, später Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, sinnierte im Jahr 1992: »Wenn es mir ausschließlich darum gegangen wäre, etwas zu ändern, wäre ich vermutlich bei der Gewerkschaft oder in der Kirche gelandet. Offensichtlich habe ich mir in der Politik auch eine gewisse Außenwirkung versprochen, die Möglichkeit, andere zu beeinflussen. Und das befriedigt auch die persönliche Eitelkeit.« 167 In ihrer Autobiographie
Unter Männern
beschreibt Simonis auch die Entzugsphantasien, die alle Spitzenpolitiker umtreiben: »Die Angst vor der Leere und Stille, wenn plötzlich um einen herum keine Kameras und Mikrofone mehr sind, man von heute auf morgen keine Einladungen mehr bekommt. Wenn man bemerkt, dass die Leute, die früher immer hinter einem hergerannt sind, jetzt anderen nachlaufen.« 168 Die Folge der Angst vor einem Ausscheiden aus der Klasse der A-Prominenz sind vielfach schwere Identitätskrisen, Burn-out-Syndrome |189| und Angstzustände – und da die Politiker um diese Gefahr wissen, drehen sie sich wie in einem Hamsterrad, um die Angst vor der großen Leere zu überspielen. Lothar Späth kokettierte in seiner Amtszeit als baden-württembergischer Ministerpräsident immer mal wieder mit der Idee, er könne ja theoretisch auch alles hinschmeißen – um gleich hinzuzufügen, dass er in der Praxis wie ein Zirkuspferd sei: »Da klimpert die Musik, und dann muss ich lostraben.« 169
Heide Simonis hat auch über ein Thema Auskunft gegeben, das ansonsten tabu ist: den Umgang der Politiker mit ihren Körpern, mit Krankheiten und den Folgen der ständigen Überlastung. Denn für Politiker sind Krankheiten nicht nur ein medizinisches Problem, sondern auch eine berufliche Existenzbedrohung. Immer stellt sich auch sofort die Frage, welche Bedeutung die
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