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Die erregte Republik

Die erregte Republik

Titel: Die erregte Republik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thymian Bussemer
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Interventionen bei ihren leitenden Redakteuren versucht, eine Berichterstattung zu verhindern. Jedem zweiten Politiker, so gaben die Journalisten an, sei für den Machterhalt fast jedes Mittel recht. Politiker wiederum gaben sich überzeugt: Jeder zweite Journalist sei für mehr Auflage oder Quote zu allem bereit. 147 Umgekehrt unterstellt der Kommunikationsberater Michael Spreng vielen Politikern, die Medien für ihre Zwecke instrumentalisieren zu wollen, ohne deren Rolle als Sachwalter der Öffentlichkeit zu akzeptieren: »Sie wollen die Medien benutzen. Viele Politiker haben, so würde ich das sagen, nur ein instrumentelles Verhältnis zu den Medien, aber kein Überzeugungsverhältnis.« 148 Und so ist die demonstrative Nähe von Journalisten und Politikern in der Berliner Republik eher taktischer Natur. »Der latente Groll der Politiker auf die Journalisten und die Dauerklage der Journalisten über Politiker, deren einziges Bestreben es sei, sich in Szene zu setzen, ist der interne Grundton der Berliner Misstrauensgemeinschaft, die gleichzeitig ein Geschäft zum gegenseitigen Vorteil, nämlich dem der öffentlichen Präsenz, ist«, resümiert Tissy Bruns. 149 Folgt man der Einschätzung Peer Steinbrücks, wird die in Berlin zu beobachtende »politisch-mediale Symbiose (…) immer bedenkenloser als wirtschaftliche Zugewinngemeinschaft organisiert, frei nach dem Motto ›Was mir nützt, soll dein Schaden nicht sein‹.« 150 Nicht immer wird diese so schamlos inszeniert, wie im Fall des
Phoenix
-Moderators Hans-Ulrich Stelter, der – für alle lesbar – aus einer Bundestagssitzung an die CDU-Poli tikerin Julia Klöckner twitterte: »Sie haben sehr gut ausgesehen, auf der Regierungsbank sitzend. Phoenix hat Sie mehrfach gezeigt.« 151 Hinter solchen Anbiederungen steht zunächst einmal der alte Deal des Tauschs von Publizität gegen Information: |174| Politiker geben Informationen preis und erhalten im Austausch positive Erwähnungen in den Medien. Was sich in der voll entfalteten Mediendemokratie geändert hat, ist die Tatsache, dass die Nähe zu Journalisten für Politiker mittlerweile oft wichtiger ist als der Kontakt mit der eigenen Basis, den Bürgerinnen und Bürgern. Eine Strategie, wie sie Gerhard Schröder als niedersächsischer Ministerpräsident in den 1990er-Jahren einschlug, nämlich sich mit den Medien gegen die eigene Partei zu profilieren, wäre noch zehn Jahre zuvor undenkbar gewesen. Heute aber versorgt jeder aufstrebende Hinterbänkler seine medialen Gewährsleute mit Stellungnahmen und Informationen, um sich auf diese Weise ein Netzwerk in den Medien aufzubauen. So entsteht der ewige Strom nie endender O-Töne und abweichender Stellungnahmen aus den eigenen Reihen, welche vor allem die Fraktionsvorsitzenden und Parlamentarischen Geschäftsführer, die für die Kommunikationsdisziplin der Abgeordneten zuständig sind, in den Wahnsinn zu treiben droht.
    Unter der oberflächlichen Vertrautheit der Berliner Bussi-Kultur ist längst eine Kultur des Beobachtens und Belauerns entstanden. Spitzenpolitiker werden systematisch von den Medien abgeschirmt, es bedarf mehr und mehr der professionellen Mittler in Gestalt der Kommunikationsberater und Sprecher, um die Spielregeln des Umgangs miteinander festzulegen. Vor herausragenden Ereignissen wie den TV-Duellen der Bundestagswahlkämpfe werden Dutzende Seiten von Papier beschrieben, um das genaue Reglement des Verfahrens zu fixieren.
    Immer wieder kommt es vor, dass einflussreiche Journalisten einen lange von ihnen favorisierten Politiker fallen lassen. Oft reicht schon das vage Gerücht, der Thron eines Parteigranden würde wackeln, und schon dreht sich der gesamte Tenor der Berichterstattung. Der
Spiegel
-Redakteur Christoph |175| Schwennicke galt lange als ein Bewunderer des SPD-Vorsit zenden Franz Müntefering. Im August 2009 erschien dann im
Spiegel
ein Kommentar Schwennickes, in dem es hieß: »Müntefering ist der Mann, der aus der Zeit gefallen ist. Die Fußballvergleiche (›Wir sind in der 80. Minute, und es steht 0:2‹) gehen längst auf den Wecker, das Münte-Deutsch (›Ich kann Partei‹) ist nicht mehr putzig, sondern grammatisch falsch, die Kunstpausen und Zigarillo-Rauchfäden sind nicht mehr cool, sondern blasiert. Aber er macht weiter, er kann nur so, wie der gealterte Achtziger-Jahre-DJ.« 152 Als dieser Artikel erschien, wussten alle im politischen Berlin, dass Schwennicke und mit ihm der
Spiegel
vom Idol Müntefering abgefallen

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