Die erregte Republik
Chefredakteuren widersprechen.« 154
An den Politikern geht der verschärfte Ton der journalistischen Kritik nicht spurlos vorbei. Sie sind dünnhäutiger geworden, verletzlicher – und teilen auch immer häufiger aus, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Altkanzler Helmut Schmidt bekannte im Mai 2010 bei einer Veranstaltung in Hamburg, er habe in seinem Leben vielen Menschen Unrecht getan und es gäbe vielleicht einiges, das er bereuen sollte. Aber, schränkte Schmidt ein: »Die Journalisten und ihre Behandlung gehören nicht dazu.« 155 Der über 90-Jährige kann es sich leisten, so zu reden. Politiker, die noch im Geschäft sind, ballen angesichts |178| mancher medialer Eskapaden nur noch die Fäuste in der Tasche und beißen die Zähne zusammen.
Am deutlichsten kommt dieses Misstrauen zum Ausdruck, wenn es um die Autorisierung von Interviews geht. Diese – in Deutschland einmalige – Praxis ist einer der Hauptkampfpunkte zwischen Politikern, ihren Sprechern und den Medien. Journalisten haben, wenn ihre zur Freigabe eingereichten Interviewabschriften mit vielen Änderungen und Streichungen autorisiert zurückkommen, regelmäßig das Gefühl, um ihre Geschichte betrogen worden zu sein. Und den Politikern und ihren Mitarbeitern sitzt die Angst im Nacken, dass etwas im Text stehen geblieben sein könnte, das in den Medien skandalisierbar ist. Denn diese spüren sofort, wenn neue Begriffe in die Debatte eingeführt werden, wenn von Politikern Positionen bezogen werden, die nicht bis in letzte Detail abgesprochen und auf eine einheitliche Linie getrimmt sind. Daraus können sie dann Unstimmigkeiten im Regierungslager ableiten, Widersprüche konstruieren, Zwistigkeiten herausstellen. Diese regelmäßig einsetzenden unerbittlichen Exegesen des Gesagten führen aufseiten der Politik zu einer Kultur der Wiedergabe vorgestanzter Worthülsen, um ja keine offene Flanke für überbordende Interpretationen zu bieten.
Doch dies ist nur die eine Seite der Medaille. Denn zwischen den Akteuren im politischen Berlin existiert nach wie vor ein dichtes Netzwerk informeller Kommunikation, das in der Regel auch dann Bestand hat, wenn an der Oberfläche ein heftiger Streit ausgetragen wird. Nur in den seltensten Fällen kommt der vertrauliche Austausch zwischen Medienleuten und Politikern vollkommen zum Erliegen. Dies ist eine der Paradoxien der Mediengesellschaft: Hinter der gut ausgeleuchteten Vorderbühne, auf der angeblich alles zur Sprache kommt, gibt es noch ein geheimes Hinterzimmer, in dem die hoch sensiblen |179| Themen verhandelt werden. Ein solcher Ort, wo seit Jahrzehnten vertraulich Informationen ausgetauscht werden, sind die geheimnisumrankten Hintergrundkreise. Sie stellen einen privilegierten Informationszugang für ausgewählte Journalisten dar, weil sich Politiker dort offen und ohne dass aus den Gesprächsinhalten zitiert werden darf, der Diskussion mit Journalisten stellen. Für die Zusammensetzung der rund 30 Berliner Hintergrundkreise gibt es verschiedene Ordnungsprinzipien. Viele von ihnen sind parteipolitisch verortet. So ist der Brückenkreis eher liberalkonservativ, der Weißblaue Stammtisch CSU-nah und der Ruderclub klar konservativ. Doch es gibt auch funktional gegliederte Hintergrundkreise: der Provinzkreis organisiert die Hauptstadtkorrespondenten der großen Regionalzeitungen, das Rote Tuch versammelt Frauen, die Antenne Rundfunkjournalisten. Der wohl einflussreichste Hintergrundzirkel ist der Wohnzimmerkreis, dem u.a. Günter Bannas (
F.A.Z.),
Gunter Hofmann (
Die Zeit
) und Tissy Bruns (
Der Tagesspiegel
) angehören. 156 Hinzu kommen Hintergrundgespräche wie die einst legendäre Scholz-Runde des SPD-Politiker Olaf Scholz, zu denen die Politiker selbst einladen. Die Hintergrundkreise haben sowohl für Politiker, die eine Nachricht absetzen wollen, wie für Journalisten, die sich mit ihren Kollegen auf eine Linie der Kommentierung verständigen möchten, eine zentrale Funktion. In Hintergrundgesprächen werden von den Politikern Testballons lanciert, Gerüchte über Konkurrenten gestreut und Medienmeinungen eingeholt und bewertet. Die Journalisten konfrontieren Politiker hier mit Wissen, das sie aus geheimen Quellen erfahren haben und nicht veröffentlichen können, und suchen nach Bestätigungen für ihre Kenntnisse. Für beide Seiten sind die Hintergrundkreise eine ambivalente Angelegenheit: Dort wird hinter verschlossenen Türen besprochen, was die Öffentlichkeit mit welchem Tenor wann |180|
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