Die erregte Republik
Krankheit für die weiteren Karriereaussichten hat. Wer als Kandidat für ein Spitzenamt als gesundheitlich angeschlagen gilt, darf sich sicher sein, dass Gegner in der eigenen Partei oder bei der Konkurrenz wispernd daraus Kapital schlagen. Und wer im Amt erkrankt, kann ebenso sicher davon ausgehen, dass seine Führungsfähigkeit in Zeitungskommentaren und Stammtischgesprächen in Frage gestellt wird. Simonis selbst war 2002 an Brustkrebs erkrankt. Rückblickend rühmt sie sich, trotz dieser schweren Erkrankung »nicht einen Tag gefehlt« zu haben: »Am Samstag bin ich operiert worden. Damit mich keiner sieht, haben die das am Wochenende gemacht. Am Montag bin ich mit dem Tropf unterm Arm losgezogen und habe Herrn Stoltenberg posthum die Ehrenbürgerwürde verliehen. Und nachts bin ich dann wieder ins Krankenhaus zurück.« Den Tropf hatte Simonis bei diesem Auftritt unter einer riesigen Stola verborgen. Resultat der Aktion war aus Simonis’ Sicht, dass es ihr »nicht besonders gut ging, hinterher«, doch sie hätte weder dem politischen Gegner noch den Medien die Angriffsfläche |190| einer Erkrankung im Amt öffnen wollen. »So einfach soll man es denen nicht machen.« 170
Simonis steht mit dieser Art des Umgangs mit ihrer Erkrankung in einer Reihe mit zahlreichen anderen Politikern, die ihre Krankheiten verschwiegen, heruntergespielt oder ignoriert haben – oft, bis es fast zu spät war. Denn weder im Selbstbild noch in den übervollen Terminkalendern von Spitzenpolitikern ist Platz für Krankheiten, für Phasen der Schwäche, in denen sich ein überanstrengter Körper zurückholen darf, was ihm über Jahre und Jahrzehnte abverlangt wurde. Schon Reichspräsident Friedrich Ebert verstarb im Februar 1925 mit nur 54 Jahren an einer Blinddarmentzündung, weil er die anstehende Operation wegen eines für ihn wichtigen Verleumdungsprozesses über seine Rolle während der Novemberrevolution immer wieder aufschob. Helmut Kohl litt im September 1989 an einem sehr schmerzhaften Prostatageschwulst, als er auf dem Bremer CDU-Parteitag den Putschversuch seiner innerparteilichen Gegner um Lothar Späth und Rita Süssmuth abwehren musste. Erst danach wurde er heimlich in ein Krankenhaus gebracht. Der SPD-Vorsitzende Willy Brandt kam im November 1978 ins Krankenhaus, angeblich hatte er nur eine schwere Grippe. Berichte über einen Herzinfarkt bezeichnete ein SPD-Sprecher als »schamlose Sensationsmache«. Aus wenigen Tagen Krankenhaus wurden für Brandt fünf Wochen. Diagnose: Herzinfarkt. Erst an Weihnachten war der Altkanzler wieder zu Hause. Und der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher verschleppte im Frühjahr 1989 über Tage und Wochen eine Infektion. Einem Bericht Nico Frieds zufolge soll er auf den Rat seines Arztes, Genscher möge doch ins Krankenhaus gehen, geantwortet haben, er sei kein Sparkassenvorstand, der sich ohne öffentliches Aufhebens einfach ins Bett legen könne. Im Juli desselben Jahres hatte er einen Herzinfarkt. |191| Ein ähnliches Schicksal traf 2004 Peter Struck. Dieser erlitt einen Schlaganfall, ließ aber verlautbaren, es handele sich nur um Kreislaufprobleme. Selbst Bundeskanzler Gerhard Schröder erzählte Struck erst nach einigen Tage die Wahrheit und rechtfertigte sich Jahre später damit, er habe als Bundesminister keine Schwäche zeigen dürfen: »In Amerika können die Politiker das besser. Die reden auch von ihren Krankheiten, das gehört dazu. Bei uns gilt immer noch das Image: Die Jungs und Mädels da oben müssen zu hundert Prozent leistungsfähig sein. Ich fände es besser, wenn es anders wäre. Aber irgendwie geht es nicht. Ich hatte auch früher schon mal einen Herzinfarkt. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn ich mich hingestellt und gesagt hätte: Leute, ich bin noch nicht ganz auf dem Damm, aber langsam wird es wieder. Ich glaube, eine solche Schwäche würde einem der politische Betrieb letztlich nicht verzeihen.« 171 In seinen Erinnerungen warf Struck den Medien vor, seine Erkrankung über Gebühr sensationalisiert zu haben: »Hinter der Bedenken anheizenden Berichterstattung versteckte sich große Sensationslust, weil es viele Redaktionen nicht ertragen konnten, nicht bis ins letzte Detail in mein Privatleben vorzudringen. Ich habe in jenen Wochen viel gelernt über den Druck, den Medien ausüben können. Journalisten suchten verzweifelt nach Stimmen, die ihre These bestätigten, dass ein Verteidigungsminister mit Schlaganfall nicht tragbar sei. Es fand sich
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