Die erregte Republik
Handlungsfähigkeit, ohne dass es dazu irgendeine Entsprechung in der Realität gäbe. Bemerkenswert ist, dass oft allein diese Vortäuschung von entschlossenem Handeln genügt, um Unmut zu beschwichtigen und ein Thema im Diskurs als von der Politik bearbeitet zu markieren. Vielfach bleibt Politikern gar nichts anders übrig, als sich auf die von Medien und Publikum geforderte Pose einzulassen, wenn sie auch genau wissen, dass sie am Ende nicht einlösen können, was ihnen gerade abverlangt wird.
Spektakel als Debakel
Doch Politiker sind nicht nur Getriebene. Sie kennen die Gesetze der Mediengesellschaft und können zumindest Akzente setzen. Viele glauben, die um sie herum wirkenden Kräfte unter Kontrolle zu haben. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit etwa gab zu Protokoll, er könne Journalisten fast nach Belieben instrumentalisieren: »Ich weiß, auf was sie abfahren, und wenn ich eine Nachricht produzieren will, weiß ich, wo ich sie hinsetze.« 173 Er ist nicht der einzige Politiker, der so denkt. Jürgen Rüttgers bot als nordrhein-westfälischer Ministerpräsident gezielt Einblicke in sein Privatleben, um sein politisches Image als erdverbundener Landesvater zu inszenieren. Dabei mutierte er wahrhaft zum Pantoffelhelden: Journalisten empfing er in Hausschuhen im heimischen Pulheim, seine Ehefrau servierte den Tee und versicherte, dass ihr Mann jeden Samstag die Brötchen hole. War Rüttgers früher ein ungeduldiger Modernisierer gewesen, gab er nun den sanften Arbeiterführer und einzig wahren Erben Johannes Raus. Dass all dies nur erfunden war und mit dem echten Rüttgers wenig zu tun |195| hatte, zeigte ein Papier seines Chefstrategen Boris Berger, der Rüttgers’ Image des soliden Biedermanns und Menschenverstehers noch vor Amtsantritt sorgsam choreografiert und seinem Chef auf den Leib geschrieben hatte. Berger empfahl Rüttgers in einem Vermerk einen »ambulanten Regierungsstil« – er meinte damit häufiges Herumreisen im Land –, auch um dadurch unabhängiger von der »verwöhnten und zynischen Landespressekonferenz« zu werden: »Ziel muß ein über das ganze Land angelegtes Netzwerk sein, das für Sie aufgebaut wird und in dem Sie im Mittelpunkt stehen, ohne in der operativen Pflege gebunden zu sein.« Weiter forderte Berger: »Die Termine, die Bilder und Geschichten, die dann von Ihren Reisen erzählt werden sollen, müssen sich dann immer hieran orientieren. Ziel muß doch sein, in Zeiten, wo aufgrund großen Reformbedarfs die Politik den Menschen keine materiellen Wohltaten mehr zukommen lassen kann und aufgrund der zu erwartenden Einsparungen im Landeshaushalt, die zwangsläufig zu Protesten und Widerständen führen wird, Ihnen als MP immer wieder die Rolle des ›Kümmerers‹ zu geben, der die Seele des Landes kennt, versteht und streichelt. Sie dürfen nicht derjenige sein, der die bösen Wahrheiten über zu bringende Opfer verkündet – das sollten die Minister machen –, sondern Sie müssen in die Lage versetzt werden, die emotionalen Bedürfnisse des Landes zu befriedigen.« Für Rüttgers Wahl zum Ministerpräsidenten im Juni 2006 legte Berger eine detaillierte Regieplanung fest: »Ihre Wahl zum MP muß ganz zweifellos eine besondere Inszenierung kriegen – das heißt der Abend vor der Wahl, der Morgen und die Termine am 22.06. im Anschluß. Wo und wann gehen Sie zum Gottesdienst – vielleicht sinnvoll wäre hierfür der Abend vorher in Köln oder Aachen. Eventuell könnte am Morgen vor der Wahl oder nachmittags ein Besuch am Grabe Konrad Adenauers (…) oder Arnold Gehlens stattfinden, die ja |196| Vorgänger im Amte waren [sic!]. Nach der Wahl sollte ein Empfang stattfinden – wo soll der gemacht werden? Gut wäre, wenn wir bis dahin eine Örtlichkeit hätten in Düsseldorf, wo Sie zukünftig ›Hof halten‹ wollen, dort könnte dies gemacht werden. Wer soll als Ehrengast geladen sein (…) Nachmittags müsste im Stil eines ambulanten, ganzländischen Regierungsstil ein Termin in Westfalen – Münster Rathaus (Konzert im Friedenssaal) – und abends ein Termin im Ruhrgebiet (Essen oder Duisburg) statt finden (vielleicht ein Konzert in der Philharmonie). (Irgendwann an diesem Tag müssten Sie dann ja auch noch das Kabinett benennen – vielleicht kann man das in die Inszenierung mit einbauen). Wichtig wird auch die Frage des Einzugs in die Staatskanzlei sein – wann machen Sie das, welche Bilder sollen da entstehen, wie wird die Übergabe mit MP Steinbrück
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