Die erregte Republik
inszeniert; was sind die ersten Amtshandlungen, an wen geht der erste Anruf, der erste Brief, der erste Termin, die erste Mitarbeiterbesprechung, die Ansprache an die Mitarbeiter der Staatskanzler; etc.« 174 Rüttgers folgte als Ministerpräsident diesen Inszenierungsratschlägen seines
spin doctors,
wenn auch unsicher und unbeholfen. Den Weg von der Düsseldorfer Staatskanzlei zum Parlament legte er regelmäßig zu Fuß zurück. Doch er wirkte dabei so unnahbar, dass kaum jemand sich traute, ihn anzusprechen. Dass die Sanftmut, mit der Rüttgers Nordrhein-Westfalen zu regieren vorgab, nur vorgetäuscht war, wurde spätestens deutlich, als sein Oberstratege Berger im Landtagswahlkampf 2010 die »Omme einer Alten namens Hannelore« 175 zur Strecke bringen wollte. Gemeint war die SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft. Als Bergers Regieplanung durch Indiskretionen öffentlich wurde, entstand ein Inszenierungswiderspruch, für den die NRW-Wähler Rüttgers im Mai 2010 mit Abwahl bestraften und Hannelore Kraft zur Ministerpräsidentin machten.
|197| Anti-Politiker
Rüttgers ist nicht der einzige Politiker, der versucht hat, auf die Unwägbarkeiten der Medien- und Stimmungsdemokratie mit systematisch inszenierter Volksnähe zu reagieren. Gerade in letzter Zeit hat der Populismus Hochkonjunktur. Natürlich gab es in der deutschen Politik schon immer Populisten: die dröhnenden Volksredner wie Franz-Josef Strauß und Horst Seehofer, die den eigenen Erfolg kühl kalkulierenden Tabubrecher wie Jürgen Möllemann und die smarten Darlings wie Guido Westerwelle, die privatisierenden Populisten und diejenigen, die zwar ihr Intimleben unterm Deckel halten, aber jede Gelegenheit nutzen, sich populistisch mit dem kleinen Mann gemein zu machen. Es ist kein Zufall, dass gerade hoch beschleunigte Mediengesellschaften für Populismus anfällig sind: Die volatile Stimmungsdemokratie befördert den Zwang zu Popularität, die Bereitschaft der Politiker, dem Volk um des kurzfristigen Vorteils willen nach dem Mund zu reden. Populismus verspricht eine größeren Nähe zwischen Wählern und Gewählten und eine Aufhebung der vielfältigen politischen Blockaden, die in einem komplexen Mehrebenensystem an der Tagesordnung sind. Wo parlamentarische Politik langsam und schwergängig ist, suggeriert der Populismus einfache und schnelle Lösungen. Zudem lässt er dort Alternativen aufscheinen, wo noch kurz zuvor alles vorherbestimmt und bereits entschieden wirkte. »Das Erstarken populistischer Kräfte folgt der Logik, dass dann, wenn es in der Demokratie keine Alternativen gibt, Alternativen zur Demokratie attraktiv werden«, schreibt der Rechtswissenschaftler und Schriftsteller Bernhard Schlink. 176 Für die Sozialwissenschaftlerin Karin Priester ist Populismus »das Ergebnis einer gestörten Kommunikationsbeziehung von Politik und Volk«. 177 Das Erfolgskalkül populistischer |198| Strategien besteht deswegen vor allem darin, sich unter Berufung auf den »wahren Willen« des Volkes gegen die angeblich der Realität entfremdete politische Klasse aufzulehnen, diese aufzufordern, endlich Tacheles zu reden, und eine grundlegende Kurskorrektur einzufordern. Politiker, die einen solchen Weg einschlagen, müssen sich zu Nicht-Politikern erklären, zu mit dem Volk verbündeten Outsidern des etablierten Politikbetriebs. Sie gehen ein Scheinbündnis mit dem Volk gegen »die da oben« ein. Dies kann in Gestalt der Politikerschelte geschehen, wie sie Bundespräsident Horst Köhler zum Prinzip seiner Amtsführung erhoben hatte, kann in vermeintlichen Tabubrüchen wie Westerwelles »Man muss doch noch sagen dürfen« zum Ausdruck kommen und bis zu Roland Kochs plumpem Bedienen xenophober Stereotype reichen.
Keinem anderen aber ist die Inszenierung des Nicht-Politischen in den vergangenen Jahren so gut gelungen, wie dem Freiherrn Karl-Theodor zu Guttenberg, der auch Monate nach seinem Rücktritt als aktiver Politiker noch ganz vorn unter den beliebtesten Politikern des Landes rangierte. Aufstieg und Absturz von Guttenberg nahmen die steilste Verlaufsbahn, die je ein Politiker in der Bundesrepublik durchlaufen hat. Binnen zweier Jahre hatte sich Guttenberg vom CSU-Nachwuchsta lent in eine politische Wunderwaffe verwandelt. Siebzig Prozent der Deutschen zeigten in Umfragen Sympathien für ihn, nicht nur der
Spiegel
sah in Guttenberg den künftigen Kanzler. Fast alle deutschen Medien spekulierten im Jahr 2010 monatelang darüber, ob der Verteidigungsminister
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