Die Erscheinung
Büro monatelang leiten müsste - das wäre ziemlich kontraproduktiv.«
»Daran haben wir schon gedacht«, gab Bill zu, und beide atmeten erleichtert auf. Während der zehn Jahre in England hatte sich Charles zum progressiven Außenseiter entwickelt, zu lange unabhängig gearbeitet und so viele europäische Ideen übernommen, dass er jetzt nicht mehr umdenken konnte.
Charlie schloss die Möglichkeit eines Kompromisses nicht aus. Nach einem sechsmonatigen Urlaub würde er sich vielleicht bereit finden, New York zu ertragen. Aber daran zweifelte er. Die Firma Whittaker & Jones würde ihm wohl kaum die Möglichkeit bieten, so zu arbeiten, wie es seinen Ambitionen entsprach. Oder die Seniorpartner würden in diesen sechs Monaten nachdenken, sich anders besinnen und seinen Schaffensdrang nicht länger einschränken.
Musste er ihnen in einem anderen Punkt nicht Recht geben? Sie hatten erklärt, die Scheidung hätte seine Nerven zu sehr strapaziert. Vielleicht brauchte er tatsächlich einen längeren Urlaub, um sich von seinem Kummer zu erholen. Sechs Monate - so lange hatte er noch nie gefaulenzt. Seit dem Studienabschluss war er fast ständig beschäftigt gewesen. Meistens hatte er sogar auf seinen Jahresurlaub verzichtet. Jetzt erschien ihm der Gedanke, ein halbes Jahr lang gar nichts zu tun, sehr verlockend. Wenn er noch länger im New Yorker Büro bliebe, würde er durchdrehen.
»Wo werden Sie die Weihnachtstage verbringen?«, fragte Arthur besorgt. So enttäuschend Charlies Rückkehr auch gewesen war, sie hatten ihn von jeher sympathisch gefunden.
»Keine Ahnung«, antwortete Charlie wahrheitsgemäß und versuchte, die Ungewissheit zu genießen statt zu fürchten. »Vermutlich in Boston«, fuhr er vage fort. Dort war er zwar aufgewachsen, hatte aber keine Verwandten mehr. Seine Eltern waren vor langer Zeit gestorben, und die Freunde aus seiner Kindheit und Jugend hatte er seit zehn Jahren nicht mehr besucht. In seiner jetzigen Situation würde ihn ein Wiedersehen quälen, denn er war mehr oder weniger arbeitslos und müsste die traurige Geschichte von seiner Scheidung erzählen.
Erst einmal würde er ein oder zwei Wochen in Vermont Ski fahren und dabei seine Zukunft planen. Er hatte genug Geld auf der Bank, und da die Firma sein Gehalt weiterhin zahlen würde, konnte er sich alle Wünsche erfüllen.
»Bleiben wir in Verbindung.« Bill lächelte sichtlich erleichtert, als Charles um den Schreibtisch herumging und beiden Seniorpartnern die Hände schüttelte. Sie hatten nicht mit einer gütlichen Einigung gerechnet und gefürchtet, er würde auf seinen Vertrag pochen und ihnen ernsthafte Schwierigkeiten bereiten.
»Nach sechs Monaten melde ich mich wieder«, versprach Charlie. »Dann sehen wir weiter.« Aber er ahnte schon jetzt, dass er sich nie mehr dazu durchringen würde, im New Yorker Büro für Whittaker & Jones zu arbeiten. Und wie ihm irgendein Instinkt verriet, würde man ihm die Rückkehr ins Londoner Büro verwehren. Wahrscheinlich wollten ihn Arthur und Bill einfach nur auf elegante Weise loswerden - was auch zutraf, wovon er allerdings nichts wusste. Dick Barnes hatte den Londoner Job bereits übernommen, und sie mochten ihn, weil er viel umgänglicher war als Charlie und ihre Wünsche fraglos erfüllte.
Während Charlie seinen Schreibtisch ausräumte, überlegte er, ob er jemals zu Whittaker & Jones zurückkehren, in welcher Stadt, beziehungsweise in welcher Funktion er für die Firma arbeiten würde. Am späten Nachmittag verabschiedete er sich von allen Mitarbeitern, eine fast leere Aktentasche in der Hand. Die schriftlichen Unterlagen hatte er ihnen bereits zurückgegeben. Er nahm nichts mit - keine Baupläne, keine schriftlichen Unterlagen zu irgendwelchen Projekten. Jetzt war er frei.
Der Einzige, der ihn bedauernd gehen sah, war Ben Chow. »Welch ein Glück Sie haben!«, flüsterte er Charlie zu, und beide lachten.
Fast euphorisch dankte Charlie den beiden Seniorpartnern und verließ das Gebäude. Ob er jemals zurückkehren, ob man ihn feuern oder ob er tatsächlich ein halbes Jahr Urlaub machen würde, wusste er nicht. Aber was auch geschehen mochte - zum ersten Mal in seinem Leben sorgte er sich nicht um solche Dinge. Eins stand jedenfalls fest - hätte er noch länger in diesem Büro ausgeharrt, wäre seine Kreativität gnadenlos zerstört worden.
Was nun, fragte er sich auf dem Weg zu seinem Apartment. Am nächsten Morgen musste er ausziehen, dazu hatte er sich im Büro bereit
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