Die Erscheinung
auf jeden Fall allein verspeisen. Danach kaufte er ein paar süße Brötchen für den nächsten Morgen. Die Pensionswirtin hatte versprochen, sie würde ihn mit Kaffee in einer Thermosflasche versorgen. Auf das Frühstück, das sie ihm angeboten hatte, wollte er verzichten und möglichst zeitig aufbrechen - vorausgesetzt, ein weiteres Schneetreiben würde ihn nicht daran hindern.
Durch eine klare, stille Nacht fuhr er zur Pension zurück. Vor der Tür blieb er eine Weile stehen, betrachtete den unglaublich schönen Himmel, und sein Gesicht prickelte in der kalten Luft. Plötzlich lachte er laut auf, fühlte sich so gut wie seit Jahren nicht mehr und wünschte, er könnte auf irgendjemanden einen Schneeball werfen. Nur zum Spaß formte er eine feste Kugel aus knirschendem weißen Schnee und schleuderte sie gegen einen Baumstamm. Dabei kam er sich wie ein kleiner Junge vor. Immer noch lächelnd ging er zu seinem Schlafzimmer hinauf, wo ein helles Kaminfeuer brannte. Und da wurde er erneut von einer beglückenden Weihnachtsstimmung erfasst.
Erst als er unter der Daunendecke des großen Betts mit dem Baldachin lag, begann sein Herz wieder zu schmerzen, und er sehnte sich nach Carole. Was würde er dafür geben, wenn er eine Nacht mit ihr verbringen könnte … Doch das würde nie wieder geschehen, und es war sinnlos, auch nur daran zu denken. Unglücklich starrte er in die Flammen. Er musste endlich aufhören, seiner Frau nachzutrauern. Aber wie sollte er vergessen, wie wundervoll seine Ehe gewesen war? Oder hatte er sich das nur eingebildet? Warum hatte er nicht bemerkt, dass sie ihm entglitten war? Vielleicht hätte er die Trennung verhindern können, wenn ihm die ersten Anzeichen ihrer Untreue aufgefallen wären. Nun quälte er sich, als hätte er ein Leben verloren, das nicht zu retten gewesen war. Sein eigenes Leben … Würde er jemals wieder tiefere Gefühle für eine Frau empfinden? Jedenfalls würde er keiner mehr vertrauen. Und wieso war Carole sich ihrer Liebe zu Simon so sicher?
Als er endlich einschlief, war das Feuer herabgebrannt, und die glühende Asche verbreitete ein sanftes Licht im Zimmer.
Am nächsten Morgen klopfte die Pensionswirtin an die Tür, brachte ihm die Thermosflasche mit heißem Kaffee und warme Blaubeermuffins. »Ich dachte, die werden Ihnen schmecken.« Da er gerade aus der Dusche kam, hatte er nur ein Handtuch um die Hüften geschlungen. Aber der Anblick seines schlanken muskulösen Körpers störte die Frau nicht im Mindesten, und sie wünschte, sie wäre zwanzig Jahre jünger.
Lächelnd bedankte er sich, zog die Vorhänge auseinander und betrachtete den Schnee, der in der Sonne glitzerte. Der Ehemann der Wirtin schaufelte gerade die Zufahrt frei.
»Heute müssen Sie vorsichtig fahren«, mahnte sie.
»Sind die Straßen vereist?«
»Noch nicht. Aber es wird nicht mehr lange dauern. Gerade habe ich die Wettervorhersage im Radio gehört. Am Nachmittag soll's wieder schneien. Ein Schneesturm, der von der kanadischen Grenze herunterzieht.«
Das störte Charlie kein bisschen. Da er es nicht eilig hatte, würde er durch New England fahren und nur zwanzig Meilen pro Tag zurücklegen. Wenn er dabei auf den Skiurlaub verzichten musste, wäre das nicht so schlimm. Allerdings hatte er sich darauf gefreut. Vor vielen Jahren, als er noch in New York gelebt hatte, war er mit Carole in Sugarbush Ski gelaufen. Nur flüchtig hatte er erwogen, diesmal wieder hinzufahren. Er brauchte keine Pilgerfahrten zu Orten, die schmerzliche Erinnerungen wecken würden. Zu Weihnachten schon gar nicht.
Bald danach verließ er die Pension, in einer Skihose und einem Parka, mit der Thermosflasche, die er der Wirtin abgekauft hatte. Ohne Schwierigkeiten gelangte er zur Interstate 91 und fuhr in Richtung Massachusetts - erstaunt, weil die Straße gut geräumt war. Der Schnee behinderte ihn kaum, und er musste nicht einmal die Ketten anlegen, die ihm der Angestellte von der Autovermietung mit auf den Weg gegeben hatte. Erst als er Whately erreichte, begann es leicht zu schneien, und er beobachtete die Flocken, die sich auf der Windschutzscheibe sammelten.
Nach ein paar Stunden erreichte er den Stadtrand von Deerfield und fühlte sich müde. Aber er beschloss noch eine Zeit lang weiterzufahren. Dann würde er am nächsten Tag keine allzu lange Strecke bis nach Vermont zurücklegen müssen.
Während er durch Deerfield fuhr, begann es stärker zu schneien.
Diese pittoreske alte Stadt kannte er sehr gut. In der
Weitere Kostenlose Bücher