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Die Erscheinung

Titel: Die Erscheinung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danielle Steel
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dieser Begegnung. Sie hatte ihm auch einiges zu bieten - die Gemütlichkeit ihres Heims in einer schwierigen Jahreszeit. Im Übrigen erinnerte er sie an ihren verstorbenen Sohn. Um die Weihnachtszeit war der Verlust besonders schwer zu ertragen.
    Während er die Lammkoteletts briet, bereitete sie einen köstlichen Kartoffelbrei zu und mischte den Salat. Zum Nachtisch teilten sie sich einen Brotpudding. Solche Mahlzeiten hatte ihm auch seine Mutter serviert. Und in England hatte er zusammen mit Carole ähnliche Menüs gegessen. Während er sich Mrs. Palmers Geschichten anhörte, wünschte er, Carole wäre bei ihm, und er musste sich wieder einmal sagen, mit solchen Gedanken würde er nur seine Zeit vergeuden. Er durfte sich nicht mehr vorstellen, er könnte sie in alles einbeziehen. Jetzt gehörte sie nicht mehr zu seinem Leben, sondern zu Simon. Trotzdem schmerzten die Erinnerungen. Daran würde sich wohl nichts ändern. Wie hatte Mrs. Palmer den Verlust ihres Sohnes, ihrer Schwiegertochter und ihres einzigen Enkelkinds überlebt? Die Verzweiflung musste grauenvoll gewesen sein. Doch sie hatte das Leid überstanden. Sicher spürte sie den Kummer oft - wie amputierte Gliedmaßen, an die man sich ständig wieder erinnerte. In diesem Augenblick erkannte Charlie, dass er weiterleben musste, welchen Preis es auch kosten mochte.
    Mrs. Palmer brühte noch einmal Tee auf, und sie unterhielten sich stundenlang - über die Geschichte des Deerfield Forts und die Menschen, die dort gelebt hatten. So wie Charlies Vater wusste die alte Dame sehr viel über die Legenden und historischen Persönlichkeiten in dieser Gegend. Sie sprach auch über die Indianer, die hier gelebt hatten. Damit beschwor sie die längst vergangenen Ausflüge herauf, die Charlie mit seinem Vater unternommen hatte. Erst gegen Mitternacht merkten beide, wie spät es geworden war. Sie sehnten sich nach Herzenswärme und menschlicher Nähe. Charlie hatte sein New Yorker Fiasko geschildert, und Gladys analysierte die Situation erstaunlich vernünftig. Die nächsten sechs Monate müsse er gut nutzen, empfahl sie ihm, und herausfinden, ob er jemals wieder zu Whittaker & Jones zurückkehren wollte. Für ihn sei das eine großartige Chance, sein Talent auf neuen Gebieten zu erproben. Vielleicht würde er sogar ein eigenes Architekturbüro gründen. Sie diskutierten über sein Interesse an gotischen Kathedralen und mittelalterlichen Schlössern, seine Begeisterung für alte Häuser.
    »Ein begabter Architekt kann so viel leisten, Charles«, betonte Mrs. Palmer. »Warum sollen Sie sich auf Bürogebäude beschränken?« Er hatte ihr anvertraut, wie gern er einen Flughafen bauen würde. Aber um dieses Ziel zu erreichen, musste er für eine größere Firma arbeiten. Nur kleinere Projekte konnte er in einem Einmannbetrieb realisieren. »Offensichtlich müssen Sie im nächsten halben Jahr gründlich nachdenken«, fuhr sie fort, »und Sie sollten sich auch amüsieren. In letzter Zeit hatten Sie nicht viel Spaß, oder?« In ihren Augen erschien ein mutwilliges Funkeln. Was er ihr über die letzten Monate in London und New York erzählt hatte, klang deprimierend. »Sicher ist's eine gute Idee, in Vermont Ski zu fahren. Vielleicht finden Sie sogar Zeit für ein kleines Abenteuer.« Mit diesem Vorschlag trieb sie ihm das Blut in die Wangen, und beide lachten.
    »Wohl kaum, nach all den Jahren. Seit ich Carole kenne, habe ich keine andere Frau mehr angesehen.«
    »Dann wird's höchste Zeit«, entgegnete sie energisch.
    Er spülte das Geschirr, dann räumte sie ihr Porzellan und das Besteck in Schrankfächer und Schubladen. Während sie plauderten, schlummerte Glynnis vor dem Herd - eine idyllische Szene. Schließlich wünschte er Mrs. Palmer eine gute Nacht und ging nach oben. Bevor er sich in das große, weiche Bett einmummelte, fand er kaum Zeit, seine Zähne zu putzen und sich auszuziehen. Zum ersten Mal seit Monaten schlief er wie ein Baby.
    Am nächsten Tag erwachte er erst nach zehn Uhr und war ein bisschen verlegen, weil er so lange geschlafen hatte. Aber er wurde nirgendwo erwartet, musste keine Pflichten erfüllen, und er sah keinen Grund, im Morgengrauen aus dem Bett zu springen. Nachdem er geduscht und sich angezogen hatte, schaute er aus dem Fenster. In der vergangenen Nacht war die Schneedecke viel dicker geworden, und es schneite nach wie vor. Es widerstrebte ihm, bei diesem Wetter nach Vermont zu fahren. Andererseits wollte er Mrs. Palmers Gastfreundschaft nicht

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