Die Erscheinung
überstrapazieren. Möglicherweise könnte er in Deerfield eine andere Frühstückspension finden.
Als er nach unten ging, traf er die Hausherrin in der Küche an, wo Glynnis aufmerksam vor dem Herd hockte, und er roch einen Kuchen im Backofen. »Hafermehl?«, fragte er und schnupperte den köstlichen Duft ein.
»Genau«, bestätigte sie lächelnd und schenkte ihm eine Tasse Kaffee ein.
»Was für ein wilder Schneesturm!«, meinte er und beobachtete den Flockenwirbel vor dem Fenster. Sicher würde man sich in den Skigebieten über dieses Wetter freuen.
»Haben Sie's sehr eilig, nach Vermont zu fahren?«, erkundigte sich Gladys Palmer besorgt. Vielleicht wollte er an seinem Urlaubsort jemanden treffen. Aber sie hoffte, er würde etwas länger bei ihr wohnen.
»Nein. Aber so kurz vor Weihnachten haben Sie sicher andere Dinge zu tun. Und ich dachte, ich könnte nach Deerfield ziehen.«
Mühsam verbarg sie ihre Enttäuschung. Sei nicht albern, ermahnte sie sich. Du kennst ihn kaum, und irgendwann muss er abreisen. Oder willst du ihn für alle Zeiten in Shelburne Falls festhalten? Das ist unmöglich …»Natürlich will ich Ihre Pläne nicht durchkreuzen«, erwiderte sie. »Aber es wäre wundervoll, wenn Sie noch eine Weile bei mir bleiben würden. Damit bereiten Sie mir keine Schwierigkeiten, im Gegenteil …« Charlie bemerkte, wie verletzlich sie aussah -und überraschend jung. Zweifellos war sie früher eine schöne Frau gewesen. »Gestern Abend habe ich Ihre Gesellschaft sehr genossen, Charles. Mit jüngeren Freunden würden Sie sich vermutlich besser amüsieren, aber - Sie wären mir willkommen. Ich habe nichts Besonderes geplant.« Nur das Weihnachtsfest zu überleben, wisperte ihr Herz.
»Sind Sie sicher? Der Gedanke, ins Auto zu steigen, ist nicht gerade angenehm. Und wenn's Ihnen wirklich nichts ausmacht …« Der 21. Dezember war angebrochen. Noch vier Tage bis zum Weihnachtsfest, das sie beide fürchteten …
»In diesem Schneesturm sollten Sie nirgendwohin fahren«, entschied sie erleichtert. Also würde sie ihn noch nicht verlieren. Sein Entschluss schien festzustehen. Wenn er doch für immer bei ihr wohnen würde … Aber sogar ein paar Tage wären eine erfreuliche Abwechslung. In der Umgebung gab es viele Sehenswürdigkeiten, die sie ihm gern zeigen würde - alte Häuser, die ihn zweifellos interessierten, eine alte Brücke, eine abgeschiedene Festung, nicht so berühmt wie das Deerfield Fort. Außerdem kannte sie einige Indianerdenkmäler, die ihm gefallen würden. Natürlich mussten sie bei diesem Wetter auf Besichtigungstouren verzichten. Wenn sie Glück hatte, würde er sie im Sommer wieder besuchen. Nun, in der Zwischenzeit würden sie einen anderen Zeitvertreib finden. Lächelnd servierte sie ihm das Frühstück, und er geriet in Verlegenheit, weil er sich bedienen ließ. Inzwischen kam sie ihm nicht mehr wie eine Pensionswirtin vor, eher wie die Mutter eines Freundes.
Nachdem er das Kaminfeuer in der Küche geschürt hatte, sprachen sie wieder über die bemerkenswerten alten Häuser in der näheren Umgebung. Plötzlich leuchteten Gladys Palmers Augen auf, und sie wirkte so heiter und jugendlich, als hätte sie sich an ein wunderbares Geheimnis erinnert.
»Führen Sie irgendwas im Schilde?« Gerade hatte er seine Jacke anziehen wollen, um hinauszugehen und Brennholz zu holen. Normalerweise wartete sie, bis sich die Söhne ihrer Nachbarn dazu bereit fanden. Aber während Charlie in ihrem Haus wohnte, wollte er sein Bestes tun, um ihr zu helfen. Verblüfft erwiderte er ihr Lächeln. »Jetzt sehen Sie wie die sprichwörtliche Katze aus, die den Kanarienvogel verschluckt hat.«
»Oh, mir ist etwas eingefallen, das ich Ihnen zeigen möchte … Dort war ich schon lange nicht mehr. Es ist ein Haus, das mir meine Großmutter hinterließ. Ihr Großvater kaufte es im Jahr 1850. Zwei Jahre wohnte ich mit Roland dort. Aber er fühlte sich in diesem Haus nicht so wohl wie ich und fand, es wäre zu entlegen und unkomfortabel. Er zog es vor, in die Stadt zu übersiedeln. Und so kauften wir vor fünfzig Jahren dieses Anwesen in Shelburne Falls. Aber ich konnte mich nie dazu durchringen, das andere Haus zu verkaufen. Und deshalb behielt ich's - wie ein Schmuckstück, das man irgendwo versteckt und niemals trägt. Ab und zu fahre ich hin, schaue mich um und bringe alles in Ordnung. Da herrscht eine ganz besondere Atmosphäre, und …« fast schüchtern fügte sie hinzu: »… und ich möchte Ihnen das Haus
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