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Die Erscheinung

Titel: Die Erscheinung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danielle Steel
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gern zeigen.« Ihre Stimme klang so ehrfürchtig, als würde sie über einen Kunstgegenstand oder ein Gemälde sprechen, und Charlie konnte es kaum erwarten, dieses mysteriöse Bauwerk zu besichtigen. Vielleicht würden sie wegen des starken Schneefalls den Berghang nicht erreichen, wo das Haus lag, meinte Gladys, aber sie wollte es versuchen.
    Wie sie ihm erklärte, war das Gebäude um 1790 herum für eine Dame errichtet worden, von einem französischen Aristokraten. 1777 war er mit seinem Vetter Lafayette zur Neuen Welt gesegelt. Sonst erzählte Mrs. Palmer nicht viel über den Mann.
    Nach dem Lunch brachen sie in Charlies Kombi auf, der größer war als Gladys' Auto. Unterwegs wies sie ihn auf verschiedene Sehenswürdigkeiten hin und erzählte weitere Legenden. Über das alte Haus sprach sie kaum. Fünf Meilen von ihrem Heim entfernt, lag es an einem Hang mit Blick auf den Deerfield River. Während sie sich ihrem Ziel näherten, erwähnte sie, als kleines Mädchen sei sie sehr gern hier gewesen. Seit fast hundertfünfzig Jahren befinde sich das Haus im Familienbesitz. Aber bevor sie es geerbt habe, sei keiner ihrer Verwandten eingezogen.
    »Warum nicht?« Charlie fragte sich, ob das mit praktischen Gründen zusammenhing oder ob mehr dahinter steckte. »Sicher ist es ein ganz besonderes Haus.«
    »O ja, es besitzt eine eigene Seele, und man spürt immer noch die Gegenwart der Frau, für die es erbaut wurde. Vor vielen Jahren veranlasste ich Jimmy und Kathleen, die Sommermonate in dem alten Haus zu verbringen. Meine Schwiegertochter hasste das Anwesen, weil Jimmy ihr alberne Geistergeschichten erzählt hatte, und wollte nie mehr darin wohnen. Schade - die Atmosphäre ist so romantisch.«
    Interessiert hörte er zu, während er vorsichtig die verschneite Straße hinauffuhr. Der Wind hatte aufgefrischt. Ringsum bildeten sich hohe Schneewehen. Sie fuhren so nah wie möglich an das Haus heran, und Gladys zeigte Charlie, wo er parken sollte. Außer Bäumen sah er nichts und fürchtete, sie hätten sich verirrt. Aber sie bedeutete ihm lächelnd, ihr zu folgen, und zog ihren Mantel enger um die Schultern. Offenbar wusste sie genau, in welche Richtung sie gehen musste.
    »Ich fühle mich wie Hänsel im Wald. Hätten Sie mir bloß geraten, Brotkrumen mitzunehmen!« Den Kopf gesenkt, stemmte er sich gegen den Schneesturm und hielt Mrs. Palmers Arm fest, damit sie nicht ausrutschte und stürzte. Aber diese Gefahr bestand nicht. Mit sicheren Schritten stapfte die rüstige alte Dame durch den Schnee. Sie war es gewohnt, bei jedem Wetter hierher zu kommen. In letzter Zeit hatte sie sich allerdings nur selten dazu aufgerafft. Nun fand sie allein schon die Nähe des Hauses beglückend, und sie strahlte Charlie an, als wollte sie ihm ein Geschenk überreichen. »Für welche Frau wurde das Haus erbaut?«, fragte er.
    »Sie hieß Sarah Ferguson.« Wie Mutter und Sohn gingen sie nebeneinander her. Es schneite immer stärker, und er fürchtete, sie würden sich verirren. Auf dem schneebedeckten Waldboden war kein Weg zu sehen. Aber Gladys schaute sich kein einziges Mal zögernd um, sondern ging entschlossen weiter. Dabei erzählte sie von Sarah. »Um diese bemerkenswerte Frau ranken sich viele mysteriöse, sentimentale Legenden. 1789 kam sie ganz allein aus England hierher, weil sie ihrem grausamen Ehemann entfliehen wollte, dem Earl of Balfour.«
    »Und wie hat sie den Franzosen kennen gelernt?«, fragte Charlie fasziniert.
    »Das ist eine lange, lange Geschichte«, erwiderte sie und blinzelte in den Schneesturm. »Was für eine tapfere, starke Frau …« Ehe sie weitersprechen konnte, erreichten sie eine kleine Lichtung, und Charlie betrachtete entzückt ein schö- nes, perfekt proportioniertes Château am Ufer eines kleinen Sees. Früher seien hier viele Schwäne geschwommen, erklärte Gladys Palmer.
    Noch nie hatte Charlie ein so wunderbares Schloss gesehen, das einem exquisiten Juwel glich. Fast ehrfürchtig ging er mit der alten Dame darauf zu und konnte es kaum erwarten, die Schwelle zu überqueren.
    Sie stiegen die tief verschneite marmorne Eingangstreppe hinauf, und Gladys zog einen alten Messingschlüssel aus der Tasche. Während sie die Tür aufsperrte, warf sie einen Blick über die Schulter und lächelte Charlie an. »Was an diesem Gebäude besonders erstaunlich ist - der Comte François de Pellerin ließ es ausschließlich von Indianern und ortsansässigen Handwerkern bauen. Er zeigte ihnen, wie sie vorgehen mussten, und

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