Die Erscheinung
nun sieht das Schlösschen so aus, als wäre es von erstklassigen, erfahrenen Europäern errichtet worden.«
Sobald sie eintraten, gerieten sie in eine andere Welt. Hingerissen schaute Charlie sich um, bewunderte die hohen Zimmerdecken, die schönen Parkettböden, die Marmorkamine. Aus allen Räumen im Erdgeschoss führten Glastüren ins Freie. Mühelos konnte Charlie sich attraktive, elegante Adelige in dieser Umgebung vorstellen, hellen Sonnenschein, exotische Blumen, stimmungsvolle Musik. Er glaubte eine Zeitreise in die Vergangenheit zu unternehmen und verspürte den Wunsch, einfach nur dazusitzen und die erlesene Einrichtung zu bestaunen. Sogar die Farben der Wände, zarte Pastelltöne, waren sehr sorgfältig gewählt worden - Butterblumengelb und Perlgrau, Himmelblau im Speisezimmer, Pfirsichrosa in einem Raum, den Sarah offenbar als Boudoir benutzt hatte. Zweifellos war dieses schöne Gebäude von Gelächter, Liebe und Glück erfüllt gewesen.
»Wie war sie?«, fragte er leise, während sie umherwanderten. Pausenlos schaute er zu den Deckengemälden und den vergoldeten Schnörkeln hinauf. Jede Einzelheit in diesem Haus verriet einen ausgezeichneten Geschmack. Im Schlafzimmer der Countess of Balfour versuchte er, sich ihr Wesen und ihre äußere Erscheinung auszumalen. Was mochte den Franzosen bewogen haben, diesen prächtigen kleinen Palast für sie zu bauen? Womit hatte sie so extravagante Liebesgefühle in seinem Herzen entfacht?
»Angeblich war Sarah Ferguson sehr schön«, antwortete Gladys. »Ich habe nur eine Zeichnung von ihr gesehen - und eine Miniatur im Museum von Deerfield. In dieser Gegend war sie wohl bekannt. Kurz nach ihrer Ankunft kaufte sie eine Farm, und sie lebte allein, was großes Aufsehen erregte. Als der Comte das Haus für sie errichten ließ, führten sie eine wilde Ehe. Natürlich waren die Einheimischen schockiert.«
»Das kann ich mir denken.« Am liebsten hätte Charlie noch am selben Tag den Historischen Verein von Deerfield aufgesucht, um alles zu lesen, was man über Sarah geschrieben hatte. Doch der Comte interessierte ihn fast genauso. »Was geschah mit den beiden? Sind sie nach Europa zurückgekehrt?«
»Nein. Er starb, und sie wohnte noch viele Jahre in diesen Mauern, bis zu ihrem Tod.« Nicht weit vom Château entfernt, auf einer kleinen Lichtung, hatte die Countess ihre letzte Ruhe gefunden. »Dort rauscht ein Wasserfall, den die Indianer für heilig halten. Fast jeden Tag ging das Liebespaar dorthin. Der Comte war bei allen Indianerstämmen hoch angesehen. Bevor Sarah seine Frau wurde, war er mit einer Irokesin verheiratet.«
»Und was führte die beiden zueinander, obwohl sie mit anderen Partnern verheiratet waren?« Fasziniert und ziemlich verwirrt, wollte er möglichst viele Informationen sammeln. Aber nicht einmal Gladys kannte alle Einzelheiten. »Ich nehme an, die Leidenschaft … Allzu lange waren sie nicht zusammen. Aber Sie haben sich offensichtlich sehr geliebt, und sie müssen bemerkenswerte Menschen gewesen sein. Jimmy behauptete, er habe die Countess gesehen, als er mit seiner Familie ein paar Sommerwochen in diesem Haus verbrachte. Das bezweifle ich. Wahrscheinlich habe ich ihm zu viele Geschichten erzählt und Illusionen heraufbeschworen.«
Einer solchen Illusion würde sich auch Charlie gern hingeben. Die Aura, die das Château zu erfüllen schien, überwältigte ihn beinahe, und er wollte alles über Sarah Ferguson erfahren. »So ein schönes Haus habe ich noch nie gesehen.« Als sie aus dem Oberstock ins Erdgeschoss zurückkehrten, setzte er sich auf die Treppe, um nachzudenken und die vielfältigen Eindrücke zu verarbeiten. Nach einer Weile folgte er Gladys in den Salon.
»Freut mich, dass es Ihnen gefällt.« Der schöne kleine Palast bedeutete ihr sehr viel. Das war ihrem Mann ein Rätsel gewesen, und ihr Sohn hatte sich darüber lustig gemacht. In diesen Mauern spürte sie etwas, das sie nicht erklären konnte.
Charles schien es ebenfalls wahrzunehmen. Er war sichtlich bewegt - und im Einklang mit seiner Seele. Hier fand er jenen inneren Frieden, den er in den letzten Monaten vergeblich gesucht hatte, und es kam ihm so vor, als wäre er heimgekehrt. Einfach nur dazusitzen, die Schneeflocken vor den Glastüren zu beobachten und ins verschneite Tal zu blicken - dieses Erlebnis weckte tiefe Gefühle, die er nie zuvor empfunden hatte und nicht verstand. Nur eins wusste er in diesem Moment - er wollte nie mehr von hier fortgehen.
Was ihn
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