Die Erscheinung
ihren Gemahl - seine Untreue, seine Grausamkeit, seine scharfe Zunge, seine gnadenlose Faust. Sie hatte ihn schon so oft bitter enttäuscht. Erst vor drei Monaten war ihr sechstes Kind, eine Totgeburt, begraben worden. Das Einzige, was er sich von ihr wünschte, war ein Erbe. Und nach all den Jahren hatte sie ihm noch immer keinen geschenkt. Sämtliche Babys waren Fehlgeburten gewesen, tot geboren oder wenige Stunden nach der Entbindung gestorben.
Sarahs Mutter hatte die Geburt ihres zweiten Kindes, das tot zur Welt gekommen war, nicht überlebt. Damals noch ein kleines Mädchen, wuchs Sarah bei ihrem alten Vater auf. Statt noch einmal zu heiraten, widmete er sich ausschließlich seiner schönen, klugen Tochter, die er vergötterte.
Mit der Zeit wurde er immer gebrechlicher. Sie pflegte ihn liebevoll und schenkte ihm noch einige Jahre, die er ohne sie vielleicht nicht erlebt hätte. Als sie fünfzehn wurde, erkannte er, dass er eine wichtige Entscheidung nicht länger hinauszögern durfte. Bevor er starb, musste er sie verheiraten.
In seinem heimatlichen County gab es einige distinguierte Bewerber, darunter einen Earl, einen Duke und einen Viscount. Letzten Endes stach Balfour seine Mitstreiter aus, weil er Sarahs Vater vor Augen führte, wenn man die beiden benachbarten Ländereien vereinte, würden sie zu den größten von England zählen. Natürlich interessierte ihn auch die beträchtliche Mitgift. Sarah hätte einen jüngeren Kandidaten bevorzugt. Aber Edward redete ihrem Vater ein, da sie so lange in der Obhut eines alten Mannes gelebt habe, könne sie mit einem jungen Gemahl nicht glücklich werden. Und Sarah war zu unerfahren, um sich zu wehren.
So trug sie mit sechzehn Jahren den Titel der Countess of Balfour. Die Hochzeit fand im kleinen Rahmen statt. Fünf Wochen später starb Sarahs Vater.
Danach verprügelte Edward seine Frau fast täglich, bis sie schwanger wurde, dann beschimpfte er sie nur mehr, ohrfeigte sie und drohte sie umzubringen, wenn sie keinen Erben gebar. Meistens hielt er sich außerhalb seines Heims auf, ritt über seine Ländereien, betrank sich in Gasthöfen, vergewaltigte Dienstmägde oder reiste mit seinen Freunden durch ganz England. Der Tag seiner Heimkehr war stets eine Qual. Noch schmerzlicher litt Sarah, als ihr erstes Kind - der einzige Hoffnungsschimmer ihres Lebens - wenige Stunden nach der Geburt starb. Weil es nur ein Mädchen gewesen war, trug Edward die Tragödie mir Fassung. Danach brachte Sarah drei Söhne zur Welt, zwei Totgeburten und eine Fehlgeburt, und schließlich zwei Mädchen. Das letzte leblose Baby, in Tücher gehüllt, lag stundenlang im Arm der Mutter, die vor Verzweiflung fast den Verstand verlor, und man musste ihr das Kind mit sanfter Gewalt entreißen, um es zu begraben. Seither hatte Edward kaum mehr mit ihr gesprochen.
Obwohl er ihr seine Untreue zu verbergen suchte, wusste sie wie alle Bewohner des Countys, dass er mehrere Bastarde gezeugt hatte, darunter sieben Söhne. Er hatte bereits angekündigt, einen davon würde er - falls Sarah keinen Jungen gebar - zu seinem Erben einsetzen. Seinem verhassten Bruder Haversham würde er den Adelstitel und die Ländereien niemals gönnen.
»Nichts hinterlasse ich dir«, fauchte er. »Solltest du mir keinen Erben schenken, bringe ich dich um, ehe ich dich ohne mich auf dieser Erde weiterleben lasse.«
Mit vierundzwanzig, nach acht Ehejahren, hatte sie längst das Gefühl, ein Teil von ihr wäre gestorben. Wenn sie vor dem Spiegel stand, sah sie leere, tote Augen. Nach dem Verlust ihres letzten Kindes legte sie keinen Wert mehr auf ihr Leben. Ihr Vater wäre außer sich gewesen, hätte er gewusst, welches Schicksal sie durch seine Schuld erduldete. Misshandelt, gedemütigt und verachtet von einem Mann, mit dem sie seit der Hochzeit schlafen musste und den sie verabscheute, kannte sie keine Hoffnung mehr, keine Träume.
Mit vierundfünfzig Jahren immer noch ein attraktiver, charmanter Aristokrat, betörte Edward mit seinem Charme zahlreiche Bauern- und Dienstmädchen, die er wenig später verprügelte oder verließ, sobald sie schwanger wurden. Um seine Bastarde kümmerte er sich nicht. Für ihn zählte nur eins - das Streben nach Macht und Reichtum. Seit dem Tod seines Schwiegervaters besaß er ein riesiges Landgut. Sarahs ererbtes Privatvermögen hatte er sich längst angeeignet, teilweise auch die Juwelen ihrer Mutter.
Was seine Frau sonst noch zu bieten hatte, interessierte ihn nicht - abgesehen von
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