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Die Erscheinung

Titel: Die Erscheinung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danielle Steel
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im Kindbett sterben sollte.
    »Sicher ist er nicht verrückt«, erwiderte sie. »Nur bösartig.« Nach ihrer Ansicht verhielt sich Edward genauso wie eh und je. Aber nun verbarg er es nicht mehr vor seiner Umgebung und misshandelte sie vor den Augen seines Bruders und der Dienstboten. Daran schien er sogar Gefallen zu finden.
    »Ich reite nach Falmouth und suche ein Schiff«, stieß Haversham hervor, berührte ihren verbrühten Arm, und sie stöhnte leise.
    »Nichts dergleichen wirst du tun. Er wird dich töten. Bitte, Haversham, halt dich von mir fern, kehr zu deiner Familie zurück und vergiss mich!«
    »Niemals!«, entgegnete er verzweifelt.
    »Doch!« Ohne eine Antwort abzuwarten, eilte sie in Edwards Zimmer.
    Am Abend erfuhr sie, Haversham sei nach Hause geritten. Da sich Edward auf dem Weg der Besserung befand, sah sein Bruder keinen Grund mehr, noch länger im Schloss zu bleiben. Betrübt fragte sich Sarah, ob er seine törichten, romantischen Pläne tatsächlich aufgegeben hatte. Nur weil er sie zu lieben glaubte, durfte er seine Familie nicht verlassen oder sein Leben aufs Spiel setzen. Ebenso wie sie selbst musste er akzeptieren, dass es keine gemeinsame Zukunft gab.
    Unglücklich suchte sie ihr Schlafzimmer auf und verbrachte eine ruhelose Nacht. Als die Hähne krähten, stand ihr Entschluss fest. Warum sollte Havershams Plan nicht gelingen, wenn sie ihn allein durchführte? So tollkühn die Idee auch erscheinen mochte - wenn sie ihre Aktivitäten sorgfältig plante und geheim hielt, konnte nichts schief gehen. Sie besaß immer noch einige Juwelen ihrer Mutter, nachdem Edward die meisten entwendet hatte, um sie zu verkaufen oder seine Huren zu beschenken. Mit dem Erlös des Schmucks würde sie kein luxuriöses Leben führen, doch das strebte sie auch gar nicht an. Sie sehnte sich nur nach Freiheit und Sicherheit. Selbst wenn sie auf der Reise in die Neue Welt über Bord fallen und ertrinken sollte, so wäre das immer noch dem Grauen vorzuziehen, das sie im Haus ihres verhassten Ehemanns erlitt.
    Den ganzen Vormittag dachte sie über ihre Absicht nach, und plötzlich sah sie wieder einen Sinn in ihrem Dasein.
    Edward spie Gift und Galle und schlug zwei seiner Diener, die ihn aufzurichten und anzuziehen versuchten. Deutlich sah Sarah ihm an, wie schlecht er sich fühlte. Doch das gab er nicht zu. Mittags saß er vollständig angekleidet im Salon, leichenblass und grimmig. Zum Lunch trank er ein Glas Wein. Danach schien es ihm besser zu gehen, aber er behandelte seine Frau keineswegs freundlicher.
    Während er in seinem Sessel döste, schlich sie lautlos aus dem Salon, kehrte in ihr Schlafzimmer zurück und sperrte die Kassette auf, in der sie die restlichen Juwelen ihrer Mutter verwahrte. Glücklicherweise hatte Edward nichts davon an sich genommen. Sie wickelte den Schmuck in ein Tuch, steckte ihn in eine Tasche ihres Umhangs, der im Schrank hing, und verschloss die Kassette wieder. Am Abend sprach sie leise mit Margaret und fragte, ob ihr die Zofe tatsächlich so treu ergeben sei, wie sie es stets behauptet habe, und alles für sie tun würde.
    »O ja, Mylady«, beteuerte das Mädchen und knickste.
    »Würdest du mit mir verreisen?«
    »Natürlich«, stimmte Margaret eifrig zu und stellte sich eine geheime Fahrt nach London vor. Wahrscheinlich wollte sich die Countess dort mit Haversham treffen. Wie sehr er sie liebte, war dem Hauspersonal nicht entgangen.
    »Und wenn ein sehr weiter Weg vor dir läge?«
    Vielleicht nach Frankreich, dachte Margaret. Dort gab es gerade gefährliche politische Schwierigkeiten. Aber das würde sie ihrer Herrin zuliebe auf sich nehmen. »Wohin immer Sie gehen, Mylady, ich begleite Sie«, erklärte Margaret tapfer, und Sarah dankte ihr erleichtert. Dann nahm sie ihr das Versprechen ab, niemandem von dieser Unterredung zu erzählen.
    Am nächsten Abend zog Sarah ein warmes Wollkleid und ihren Umhang an. Nervös wartete sie, bis tiefe Stille im Schloss herrschte. Kurz vor Mitternacht schlich sie unbemerkt in den Stall und sattelte ihr Pferd so leise wie möglich. Dann führte sie Nellie durch den Hof zum Tor hinaus. Erst weiter unten an der Straße schwang sie sich in den Damensattel und galoppierte nach Falmouth, wo sie um halb drei Uhr morgens ankam.
    Sie wusste nicht, ob sie zu dieser frühen Stunde schon jemand antreffen würde. Aber sie hatte Glück und fand ein paar Seemänner, die auf einem kleinen Schiff Segel setzten und um vier Uhr mit der Ebbe auslaufen wollten. Sie

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