Die Erscheinung
teilten ihr mit, innerhalb der nächsten Tage würde ein Schiff aus Frankreich zurückkehren, das vermutlich zum Waffenschmuggel benutzt worden sei. Im September würde es die Neue Welt ansteuern. Sie kannten die Besatzung und versicherten, das sei ein gutes Schiff, auf dem ihr nichts zustoßen würde. Allerdings müsse sie auf jeglichen Komfort verzichten. Lächelnd erwiderte Sarah, das würde sie nicht stören. Die Männer musterten sie neugierig und überlegten, wer sie wohl sein mochte. Doch sie stellten keine Fragen und erklärten ihr, bei wem sie eine Passage buchen könne.
Nachdem sie davongeritten war, meinten alle übereinstimmend, diese schöne Frau müsse ein außergewöhnliches Geheimnis verbergen.
Wenig später klopfte sie an die Tür des Kapitäns, der das Überseeschiff befehligen sollte und dessen Namen die Seeleute ihr genannt hatten. Aus dem Schlaf gerissen, erschien er im Nachthemd auf der Schwelle und starrte sie verblüfft an. Seine Verwirrung wuchs, als sie ihm für die Schiffsreise nach Boston kein Geld, sondern ein Rubinarmband anbot.
»Und was soll ich damit machen?«, fragte er.
»Verkaufen Sie's.« Wahrscheinlich war der Schmuck mehr wert als das Schiff, für das er verantwortlich war.
»Aber es ist gefährlich, nach Amerika zu segeln«, warnte er. »Schon viele Leute sind während der Überfahrt gestorben.«
»Wenn ich hier bliebe, würde ich mich einer viel schlimmeren Todesgefahr ausliefern«, entgegnete sie in so entschiedenem Ton, dass er ihr glaubte.
»Sie sind doch nicht in Konflikt mit dem Gesetz geraten?« Womöglich war das Armband gestohlen. Nun, man hatte schon viele Verbrecher und Verbrecherinnen in die Neue Welt verschifft. Aber die Frau schüttelte den Kopf, und ihre Unschuldsmiene überzeugte ihn. »Wohin sollen wir die Fahrkarte bringen?«
»Kurz vor der Abreise komme ich hierher und hole sie. Wann läuft das Schiff aus?«
»Am 5. September, bei Vollmond. Am frühen Morgen, mit der Ebbe. Wenn Sie nicht pünktlich sind, segeln wir ohne Sie los.«
»Ich werde zur Stelle sein.«
»Zwischen dieser Küste und Boston gibt's keine Station«, betonte er.
Das war ihr nur recht. Nichts, was er sagen mochte, konnte ihre Absichten durchkreuzen. Sie vertraute ihm das Armband an, unterschrieb eine Quittung mit »Sarah Ferguson« und hoffte, er würde diesen Namen nicht mit dem Earl of Balfour in Verbindung bringen. Nur noch drei Wochen -dann war sie endlich frei …
Um vier Uhr morgens verließ sie Falmouth und galoppierte zurück. Einmal stolperte ihr Pferd und warf sie beinahe ab, aber sie erreichte den Hof, kurz bevor die Hähne krähten. Lächelnd schaute sie zu Edwards Schlafzimmerfenster hinauf. In drei Wochen würde ihre Qual ein Ende finden.
9
Die letzten drei Wochen, die sie mit ihrem Mann verbringen musste, kamen ihr wie eine Ewigkeit vor, und die Minuten schienen sich wie Tage dahinzuschleppen. Außer ihrer Zofe, die sie nach Amerika begleiten würde, hatte sie niemanden ins Vertrauen gezogen, und die treue Margaret weihte nicht einmal ihre Eltern ein. Die restlichen Juwelen hatte Sarah ins Futter ihres Umhangs eingenäht.
Ihr Ehemann hatte sich inzwischen von seinem Unfall erholt und ging wieder zur Jagd. Gegen Ende August brachte er mehrere Freunde heim, die mit ihm im Salon aßen und tranken - eine unmanierliche, anspruchsvolle Bande. Erleichtert atmete Sarah auf, als sie verschwanden. Wenn sich Edwards Kumpane im Schloss herumtrieben, musste sie stets um die Tugend des weiblichen Personals bangen. So gut sie es vermochte, versuchte sie die jungen hübschen Dienstmädchen zu schützen und zu verstecken.
Seit Edward aus seiner Ohnmacht erwacht war, hatte sie Haversham nicht wiedergesehen. Wie sie erfuhr, litten nun alle seine Kinder an Masern. Alice war immer noch krank, und man befürchtete eine Lungenentzündung. Verständlicherweise war er vollauf mit seiner Familie beschäftigt, und Sarah bedauerte, dass er nicht mehr zu Besuch kam. Sie hätte ihn gern ein letztes Mal gesehen. Aber vielleicht war es besser, wenn sie einander nicht mehr begegneten. Womöglich würde er ihr irgendetwas anmerken oder sogar erraten, was sie plante, denn er kannte sie viel besser als ihr Gemahl.
Tag für Tag verhielt sie sich genauso wie gewohnt, und ein aufmerksamer Beobachter hätte nur einen einzigen Unterschied bemerkt - sie wirkte neuerdings ein bisschen glücklicher.
Manchmal sang sie leise vor sich hin, wenn sie im Hintergrund des Gebäudes kostbare kleine
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