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Die Erscheinung

Titel: Die Erscheinung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danielle Steel
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konzentrieren. Ihr Anblick bezauberte alle Männer an Deck. Doch das schien sie gar nicht wahrzunehmen. Durch ihre Bescheidenheit und ruhige Art wirkte sie noch attraktiver.
    Eines Nachts, nach einer Woche, brach der erste Gewittersturm los. Sarah schlief in ihrer Kabine. Erschrocken fuhr sie hoch, als ein Seemann hereinkam und verkündete, er müsse sie festbinden. Er roch nach Rum, aber zu ihrer Erleichterung ging er sehr behutsam mit ihr um und verschwand sofort wieder, um zu seinen Kameraden an Deck zu laufen. Angespannt lauschte sie und hörte alle Planken der kleinen Brigg ächzen.
    Für alle an Bord war es eine lange, qualvolle Nacht. Den meisten Passagieren wurde auf dem wild schlingernden Schiff speiübel. Die Augen geschlossen, betete Sarah stumm, wann immer das Schiff emporstieg und dann in ein Wellental hinabstürzte. Zwei Tage lang verließ niemand die Kabinen, und eine Woche nach dem Unwetter ließ sich Martha Jordan noch immer nicht blicken. Sarah fragte Mr. Jordan, wie es seiner Frau ginge. »Leider gar nicht gut«, seufzte er sichtlich erschöpft. Da er seine Tochter allein betreuen musste, schien er sich überfordert zu fühlen. »Seit dem Gewitter ist sie dauernd seekrank. Sie war schon immer anfällig.«
    Am selben Nachmittag klopfte Sarah an die Kabinentür der Jordans, um Martha zu besuchen. Leichenblass lag die arme Frau auf ihrer Matratze, einen Eimer neben sich, und begann gerade erbärmlich zu würgen.
    »Lassen Sie sich helfen, meine Liebe!« Mitfühlend eilte Sarah zu ihr und stützte sie.
    Als Martha wieder sprechen konnte, teilte sie ihr mit, sie sei nicht nur seekrank, sondern auch schwanger. Erst am Vortag hatte Sarah zu ihrer ungeheuren Erleichterung festgestellt, dass ihr dieser Zustand erspart blieb. Nun gab es nichts mehr, was sie mit Edward verband, und sie war endgültig frei. Doch die geschwächte Frau, der sie einen Arm um die Schultern gelegt hatte, befand sich in einer äußerst schwierigen Situation. »Wir hätten bis zur Geburt des Babys bei meiner Familie in England bleiben können«, stöhnte sie unglücklich, an Sarahs Brust gelehnt. »Aber Seth fand, es wäre besser heimzukehren. Und die Reise von Boston nach Ohio dauert noch einmal vierzehn Tage.« Bis sie diese Fahrt antreten konnte, musste sie erst einmal einige Wochen auf einem schwankenden Schiff überstehen.
    Von tiefem Mitleid erfasst, verdrängte Sarah die Gedanken an ihr eigenes Glück und überlegte, wie sie der bedauernswerten Frau helfen konnte. Sie holte Lavendelwasser und ein sauberes Tuch aus ihrer Kabine und kühlte Marthas Stirn, wusch ihr das Gesicht und vertauschte den vollen Eimer mit einem leeren. Dann versprach sie ihr, sie würde irgendjemanden in der Kombüse veranlassen, Tee zu kochen.
    »Danke«, wisperte Martha. »Oh, Sie ahnen nicht, was ich durchmache … Als ich Hannah erwartete, war mir dauernd übel …« Das konnte sich Sarah gut vorstellen, nachdem sie es selbst viel zu oft erduldet hatte.
    Eine Stunde später fühlte sich Martha etwas besser, nach einer Tasse Tee und ein paar Keksen, die der Schiffskoch ihr geschickt hatte. Seth Jordan nannte Sarah einen Engel der Barmherzigkeit und dankte ihr überschwänglich. Um ihn zu entlasten, nahm sie Hannah mit in ihre eigene Kabine und spielte mit ihr. Aber das Kind sehnte sich nach der Mutter, und Sarah brachte es bald zurück. Inzwischen ging es Martha wieder schlechter. Sie übergab sich, und Hannah musste ihren Vater an Deck begleiten. Sarah folgte den beiden und beobachtete, wie er sich mit einigen Passagieren unterhielt. Sie rauchten teure Zigarren, die einer der Kaufleute in den West Indies erworben hatte. Als Sarah den köstlichen Duft roch, war sie versucht, selber eine Zigarre zu probieren. Doch sie verzichtete darauf, denn man sollte sie nicht für frivol halten.
    Nun genossen sie ein paar ruhige Tage, bis der nächste Gewittersturm das Meer peitschte. Zwei Wochen lang herrschte schlechtes Wetter, die meisten Passagiere blieben in ihren Kabinen. Seit dreieinhalb Wochen waren sie auf hoher See, und der Kapitän schätzte, sie hätten die Hälfte der Strecke zurückgelegt. Vorausgesetzt, sie wurden vor weiteren heftigen Unwettern verschont, müsste die Reise von der englischen Küste nach Boston insgesamt sieben Wochen dauern.
    Trotz des unfreundlichen Wetters ging Sarah oft an Deck und beobachtete die Besatzung in der Takelage. Oft fragte sie sich, was Edward von ihrem Verschwinden halten mochte. Hatte Margaret ihr Versprechen

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