Die Erscheinung
gehalten und nichts verraten? Oder wusste der Earl inzwischen, wohin seine Frau fuhr? Im Grunde genommen war es egal. Er konnte sie nicht zur Rückkehr zwingen.
Eines Morgens gesellte sich Abraham Levitt zu ihr, einer der Kaufleute. »Haben Sie Verwandte in Boston?«
»Leider nicht.«
Mit seinen Geschäften hatte er ein Vermögen gemacht. Es faszinierte sie, mit ihm zu reden und von seinen Reisen in den Orient zu hören. Er andererseits war von ihren klugen Fragen beeindruckt. Eine ungewöhnliche Frau, dachte er. Interessiert erkundigte sie sich nach Boston und den Siedlungen im Norden und Westen der Stadt. Sie wollte alles über die Indianer und die Forts wissen, über die Bewohner von Connecticut und Massachusetts. In einem Reiseführer hatte sie einen Bericht über eine pittoreske kleine Stadt namens Deerfield gelesen, die teilweise von Indianern bevölkert wurde.
»Wollen Sie etwa dort hinziehen?«, fragte Mr. Levitt.
»Vielleicht kaufe ich eine Farm in dieser Gegend.«
»Unmöglich!«, rief er konsterniert. »Wie wollen Sie eine Farm betreiben - eine allein stehende Frau? Die Indianer würden Sie sofort entführen.« Das würde er selber gern tun. Aber Captain MacCormack legte großen Wert auf Sitte und Anstand an Bord seines Schiffes, und er behielt Sarah väterlich im Auge. So wie alle Männer auf der
Concord
bewunderte Abraham Levitt die schöne junge Frau. Unentwegt suchten sie ihre Nähe, aber Sarah ahnte nicht einmal, welche Gefühle sie erregte.
»Oh, die Indianer werden mir sicher nichts zu Leide tun«, erwiderte sie lachend. Sie fand den etwa 30-jährigen Mann sehr sympathisch, und sie wusste, dass in Connecticut eine Ehefrau auf ihn wartete.
»Jedenfalls sollten Sie vorsichtig sein«, mahnte er. In dieser Minute verkündete der Erste Offizier, das Dinner sei angerichtet, und Mr. Levitt führte Sarah zu Tisch.
Seth und Hannah Jordan saßen bereits auf ihren Plätzen. Seit Wochen nahm die arme Martha nicht mehr an den gemeinsamen Mahlzeiten teil. Sie verließ die Kabine nicht, und sie sah elend aus, wann immer Sarah sie besuchte. Nicht einmal der Apotheker wusste, wie er ihr helfen sollte. Keine seiner Arzneien hatte eine Besserung erzielt.
Wie üblich erzählten sie einander beim Dinner Geschichten, und alle fanden, Sarah würde diese Kunst am besten beherrschen. Nach dem Essen führte sie Hannah in ihre Kabine und brachte sie zu Bett, damit Seth mit den anderen Männern an Deck umherwandern konnte. Zuvor hatte sie sich vergewissert, dass Martha nebenan schlief. Allmählich bangte sie um das Leben der armen Frau. Aber Captain MacCormack hatte ihr versichert, an Bord der
Concord
sei noch niemand an der Seekrankheit gestorben, und das würde auch in Zukunft nicht geschehen.
In dieser Nacht tobte ein Sturm, der sie an seinen Worten zweifeln ließ. Später sollte er gestehen, es sei das schlimmste Unwetter gewesen, das er jemals erlebt habe. Es dauerte drei Tage, und die Seeleute mussten auf Deck an den Masten festgebunden werden. Zwei wurden über Bord gespült, als sie die Segel zu retten versuchten. Jedes Mal, wenn die Brigg in ein Wellental hinabraste, entstand der Eindruck, sie würde gegen Felsen prallen, und sie erzitterte so heftig, dass das Holz zu zersplittern drohte. Diesmal fürchtete sich sogar Sarah. Schluchzend lag sie in ihrer Kabine, auf der Koje festgebunden, und entsann sich, dass sie ihrer Zofe erklärt hatte, sie wollte lieber ertrinken, als bei ihrem Mann zu bleiben. Würde das Schicksal sie beim Wort nehmen? Selbst wenn es so wäre - sie bereute ihren Entschluss keine Sekunde lang.
Am vierten Tag schien die Sonne, und das Meer beruhigte sich ein wenig. Die Passagiere kamen aus ihren Kabinen. Außer Abraham Levitt sahen alle ziemlich mitgenommen aus. Im Orient habe er viel schlimmere Stürme miterlebt, behauptete er und erzählte Geschichten, die seine Zuhörer in Angst und Schrecken versetzten. Auch Seth und Hannah erschienen an Deck. Besorgt wandte er sich an Sarah. »Meiner Frau geht es sehr schlecht. Ich fürchte, sie liegt im Delirium. Seit Tagen hat sie keinen einzigen Schluck Wasser getrunken. Ich kann sie einfach nicht dazu bringen.«
»Versuchen Sie's doch!«, drängte Sarah bestürzt. »Sonst vertrocknet sie womöglich bei lebendigem Leibe.«
»Man müsste sie zur Ader lassen«, klagte der Apotheker. »Ein Jammer, dass wir keinen Arzt an Bord haben!«
»Wir werden uns auch ohne den Doktor zu helfen wissen!«, verkündete Sarah energisch, eilte unter Deck und
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