Die Erscheinung
eingetroffen. Bewundernd schaute er sie an. Sogar in ihrem schlichten braunen Wollkleid mit dem passenden Hut war sie eine Schönheit. Der helle Teint schimmerte fast so weiß wie Schnee, die Augen leuchteten wie der Sommerhimmel, und die Lippen, die sie niemals mit Rouge färbte, hätten jeden jüngeren Mann zu einem Kuss herausgefordert. Doch sie wirkte stets züchtig und korrekt, und der Glanz in ihren Augen rührte sicher nur von der Aufregung her, die sie in dieser ungewohnten, faszinierenden Umgebung verspürte. Ihre subtile Sinnlichkeit wusste sie zu verbergen, und wer sie nicht allzu genau musterte, entdeckte nur Herzenswärme.
Wortreich bedankte sie sich, weil er ihr den Aufenthalt in der Garnison erlaubte, und er entgegnete belustigt: »Amelia hält ihre Besuche in meinem Fort für eine reine Qual, für die ich mich von ihrer Ankunft bis zu ihrer Abreise unentwegt entschuldigen muss.« In den letzten fünf Jahren war sie nur selten hierher gefahren. Mit neunundvierzig fühlte sie sich zu alt für diese Strapaze, und er fand es einfacher, wenn er zu ihr nach Boston ritt. Da war Mrs. Ferguson aus anderem Holz geschnitzt. Sie sei eine »geborene Siedlerin«, meinte er und nahm an, sie würde das nur als scherzhaftes Kompliment auffassen.
An diesem Abend veranstaltete er eine kleine Dinnerparty für Sarah und bemerkte kurz vor der Mahlzeit, hoffentlich sei sie mit ihrer Unterkunft zufrieden. Da es in der Garnison keine Gästezimmer gab, nahmen die Ehefrauen der Soldaten die meisten Besucher auf. Wenn Amelia nach Deerfield kam, musste sie das Quartier ihres Mannes mit ihm teilen, was sie verabscheute. Sarah versicherte, sie fühle sich sehr wohl bei Rebecca und habe sie bereits ins Herz geschlossen. Etwas später stellte sie unbehaglich fest, dass auch Lieutenant Parker am Esstisch saß und sie genauso anschmachtete wie in Boston. Sie tat ihr Bestes, um ihn zu entmutigen. Schließlich behandelte sie ihn sogar etwas unhöflich. Doch das störte ihn nicht, ganz im Gegenteil. Offenbar hielt er ihre scharfen Antworten für ein Zeichen ihres Interesses. Zu ihrer Bestürzung vermuteten obendrein die anderen Gäste, sie hätte seinetwegen die beschwerliche Reise gewagt.
»Das stimmt nicht«, informierte sie die Gemahlin eines Majors. »Wie Sie wissen, bin ich verwitwet«, fuhr sie in strengem Ton fort, fühlte sich wie ihre eigene Großmutter und versuchte, eine möglichst Ehrfurcht gebietende Miene aufzusetzen. Hätte sie sich selbst beobachtet, wäre sie vermutlich in Gelächter ausgebrochen.
Bedauerlicherweise war die Frau nicht so beeindruckt, wie Sarah es erwartet hatte. »Sie können nicht Ihr Leben lang allein bleiben, Mrs. Ferguson«, betonte sie und warf einen wohlwollenden Blick auf den jungen Lieutenant.
»Doch, genau das habe ich vor«, beteuerte Sarah energisch, und der Gastgeber lachte. Als sie sich verabschiedete, blieb Lieutenant Parker in ihrer Nähe, in der Hoffnung, er dürfte sie zu Rebeccas Hütte begleiten.
»Soll ich Ihnen meinen Schutz anbieten?«, fragte Colonel Stockbridge, der Sarahs Problem verstand und ihr aus der Verlegenheit helfen wollte. Schließlich war sie sein Gast, und sie hatte deutlich genug bekundet, dass sie die romantischen Gefühle des Lieutenants nicht erwiderte.
»Oh, das wäre sehr freundlich von Ihnen«, nickte sie, worauf er dem jungen Mann mitteilte, dieser brauche nicht auf Mrs. Ferguson zu warten, weil er sie selbst nach Hause bringen würde.
»Vielen Dank, Parker, wir sehen uns morgen früh.«
Wie Sarah erfahren hatte, sollte am nächsten Tag eine Besprechung mit einer Delegation aus dem Westen stattfinden, die soeben Friedensverhandlungen mit einigen Unruhestiftern unter dem Kommando Little Turtles, der kleinen Schildkröte, geführt hatte.
Sichtlich niedergeschlagen verließ der Lieutenant das Quartier seines Vorgesetzten.
»Tut mir Leid, falls er Sie belästigt, meine Liebe«, seufzte der Colonel. »Er ist eben jung und hitzig - und bis über beide Ohren in Sie verliebt. Das kann ich ihm nicht verübeln. Wäre ich dreißig Jahre jünger, würde ich mich auch zum Narren machen. Und wenn ich's recht bedenke - eigentlich können Sie von Glück reden, weil Amelia auf mich aufpasst.«
Lachend errötete sie und dankte ihm für das Kompliment. »Der Lieutenant weigert sich zu begreifen, dass ich nicht mehr heiraten möchte. Das habe ich ihm deutlich erklärt. Bedauerlicherweise glaubt er mir nicht.«
»Was ich nur zu gut verstehe«, entgegnete er und half ihr
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