Die Erscheinung
ihren kleinen Sohn zu stillen. Das bereitete ihr manchmal Schmerzen, und sie fürchtete, das Baby im Mutterleib würde deshalb verfrüht zur Welt kommen. Aber der Kleine war erst acht Monate alt und etwas schwächlich, und sie mochte ihm die Muttermilch nicht vorenthalten. Wie lange sie schwanger war, wusste sie nicht genau. Vielleicht im siebten Monat. Sie war viel dicker als die beiden anderen Male. Vor achtzehn Monaten war ihr erstes Baby zur Welt gekommen, ein Mädchen. Kaum war sie auf den Beinen, hatte Rebecca alle Hände voll zu tun. Sie versuchte die Kinder daran zu hindern, den Gast zu wecken, und beschäftigte die beiden mit einer Schüssel voller Haferbrei und je einer Scheibe Brot. Zum Glück lebte sie nicht auf einer Farm, sondern in der Garnison. Sie hätte gar keine Zeit, ein Stück Land zu bewirtschaften. Außerdem war die Familie hier in Sicherheit, alle bekamen genug zu essen, und Andrew musste sich nicht sorgen, wenn er sie für mehrere Tage verließ.
Sarah erwachte um neun Uhr. Inzwischen hatte Rebecca beide Kinder gebadet und angezogen, sich selbst gewaschen und angekleidet, die Wäsche erledigt, und im Ofen duftete frisch gebackenes Brot. Ein helles Feuer brannte im Kamin.
Während Sarah ihre Gastgeberin geschäftig umhereilen sah, schämte sie sich, weil sie so lange geschlafen hatte. Offenbar war die Reise doch sehr anstrengend gewesen, obwohl sie das gar nicht bemerkt hatte. Erst die Geräusche der Pferde und Wagenräder in der Garnison hatten sie aus ihrem Schlaf gerissen. Nun würde Johnny den Mietwagen bereits nach Boston zurückbringen, und die beiden Führer hatten ihr mitgeteilt, sie würden zeitig am Morgen weiterreiten. Singing Wind musste seinem Vater über die landwirtschaftlichen Geräte Bericht erstatten, die er in Boston erwerben würde. George Henderson, der Trapper, wollte den Siedlern an der kanadischen Grenze Pelze verkaufen, was derzeit ein gefährliches Unterfangen war. Das wusste er, doch es störte ihn nicht. Er kannte alle Indianerstämme, und die meisten waren ihm freundlich gesinnt.
»Möchten Sie etwas essen?«, fragte Rebecca. In einem Arm hielt sie das Baby, mit der anderen Hand versuchte sie ihre kleine Tochter daran zu hindern, den Nähkorb auszuräumen.
»Vielen Dank, ich sorge selber für mich. Wie ich sehe, haben Sie eine ganze Menge zu tun.«
»Allerdings«, stimmte Rebecca lachend zu. Im hellen Sonnenschein sah die kleine Frau mit den Zöpfen wie eine Zwölfjährige aus. »Wenn Andrew Zeit hat, hilft er mir. Aber er ist unterwegs, kümmert sich um die Siedler und besucht die anderen Forts.«
»Wann wird Ihr Baby zur Welt kommen?«, fragte Sarah. Besorgt musterte sie den runden Bauch der jungen Frau und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein.
»Erst in ein oder zwei Monaten - da bin ich mir nicht sicher«, gestand Rebecca errötend. Ihre Babys waren einander geradezu auf den Fersen gefolgt. Obwohl sie gewiss kein leichtes Leben führte, wirkte sie gesund und glücklich. Hier gab es nicht einmal annähernd den Komfort, an den sich Sarah in Boston gewöhnt hatte. Letzte Nacht war sie in eine völlig andere Welt geraten, und darin fand sie genau das, was sie sich wünschte.
Sie machte das Bett und fragte Rebecca, ob sie ihr helfen könne. Aber die junge Frau plante, eine Freundin auf einer benachbarten Farm zu besuchen, die soeben ein Baby bekommen hatte.
Nachdem Rebecca mit den Kindern die Hütte verlassen hatte, ging Sarah zum Büro des Colonels. Doch sie traf ihn nicht an, und so wanderte sie eine Zeit lang in der Garnison umher. Interessiert beobachtete sie die Ereignisse - den Hufschmied, der gerade ein Pferd beschlug, lachende Soldaten, Indianer, die kamen und gingen und anders aussahen als Singing Wind. Vermutlich zählten sie zu den Nonotuck, von denen sie gehört hatte. Dieser Stamm war genauso friedlich wie die Wampanoag. In dieser Gegend lebten keine »wilden« Indianer mehr. Zumindest glaubte sie das, bis sie ein Dutzend Männer, die meisten Indianer, durch das Tor in die Garnison galoppieren sah, gefolgt von vier Packpferden. Diese Indianer glichen weder Singing Wind noch den Nonotuck. In ihrem Aussehen und der Art, wie sie mit den Pferden umgingen, erkannte Sarah ein etwas raueres Temperament. Ihr langes schwarzes Haar war mit Perlen und Federn geschmückt, und einer trug einen spektakulären Brustharnisch. Sogar ihre Sprechweise machte ihr ein bisschen Angst. Niemand außer ihr schien die Neuankömmlinge zu beachten. Als sie die Pferde in
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