Die Erscheinung
und schüttelte den Kopf.
»Sicher wird's uns gut gehen, den beiden Jungen und mir.«
»Und wenn nicht?«
»Dann werden Sie's von Ihren Freunden erfahren, François«, bemerkte sie mit einem sanften Lächeln. »In dieser Welt scheint es zwischen Soldaten und Indianern keine Geheimnisse zu geben.«
Damit traf sie den Nagel auf den Kopf, und er musste lachen. Trotz der einsamen Wildnis wusste jeder, der hier lebte, was die anderen machten. Gewissermaßen ging es hier genauso zu wie in Boston, es dauerte nur etwas länger, bis sich die Neuigkeiten verbreiteten. »Nächsten Monat komme ich wieder vorbei«, kündigte er an, ohne eine Einladung abzuwarten. »Vielleicht werden Sie dann meine Hilfe brauchen.«
»Und wo sind Sie in der Zwischenzeit?«
»Im Norden.« Und dann fügte er zu ihrer Überraschung hinzu: »Glauben Sie mir, Sarah, für immer werden Sie nicht allein hier leben.«
Davon war er fest überzeugt. Doch sie verdutzte ihn mit einer entschiedenen Antwort. »Ich fürchte die Einsamkeit nicht, François.« Allein in dieser schönen Landschaft - das erschien ihr viel erstrebenswerter als die Gefangenschaft in Edwards Schloss oder eine zweite Ehe. Mit einem Mann, der sie womöglich genauso grausam behandeln würde. Allerdings gestanden die Indianer einer Frau zu, den brutalen Ehemann zu verlassen, was in der zivilisierten europäischen Welt unmöglich war. »Was kann mir auf diesem schönen Fleckchen Erde schon zustoßen?« Während sie fröhlich auf ihre geliebten Felsen stieg, erschien sie ihm trotz ihrer fünfundzwanzig Jahre wie ein Kind.
»Gibt es denn gar nichts, wovor Sie Angst haben?«, fragte er.
»Vor Ihnen hatte ich Angst, François - und es war niederträchtig, mich so zu täuschen«, schimpfte sie, dann setzte sie sich lachend auf einen Stein, den die Morgensonne erwärmt hatte. »An jenem Abend im Wald dachte ich tatsächlich, Sie würden mich töten.«
»Ich war so wütend auf Sie, dass ich Sie am liebsten gepackt und geschüttelt hätte«, gestand er. »Ich habe Sie mit voller Absicht in Angst und Schrecken versetzt, weil ich Sie nach Boston zurückscheuchen wollte, bevor Sie einer Mohawktruppe in die Hände gefallen wären. Leider sind Sie viel zu eigensinnig, um sich von den vernünftigen Argumenten eines aufrichtigen Mannes überzeugen zu lassen.«
»Vernünftig! Aufrichtig!«,
spottete sie. »War es denn aufrichtig, einen kriegerischen Indianer zu spielen und mir Todesangst einzujagen?« Lachend forderte sie ihn heraus, und als er sich zu ihr setzte und seine nackten Füße neben ihren ins Wasser stellte, spürte er Sarahs verlockende Nähe, wenn sich ihre Arme auch nicht berührten. Wie einfach wäre es, sie an sich zu ziehen … Aber obwohl er sie kaum kannte, fühlte er den Panzer, der ihr Herz umgab, und er wagte nicht, etwas näher zu rücken. »Eines Tages werde ich's Ihnen heimzahlen«, drohte sie. »Dann setze ich eine grausige Maske auf, schleiche in Ihre Hütte und erschrecke Sie.«
»Oh, das würde mir gefallen.« Grinsend lehnte er sich an einen Felsen.
»Dann muss ich mir eben was Schlimmeres ausdenken, um Rache zu üben.«
Das würde ihr wohl kaum gelingen. Seine Frau und den kleinen Sohn zu verlieren, war das Schlimmste, was er jemals ertragen hatte. Für ihn spielte es keine Rolle, dass die Ehe vor Gericht, in seiner Heimat Frankreich oder von den Siedlern in der Neuen Welt nicht anerkannt worden wäre. Die Verbindung nach dem Irokesengesetz war ihm heilig gewesen. »Hatten Sie Kinder in England?« Da er glaubte, sie wäre niemals Mutter gewesen, hielt er das Thema für unverfänglich. Doch er irrte sich. Bestürzt sah er den tiefen Schmerz in ihren Augen. »Verzeihen Sie, Sarah, ich dachte …«
»Schon gut. Alle meine Kinder starben kurz nach der Geburt, oder sie kamen tot zur Welt. Deshalb hasste mich mein Mann - weil ich ihm keinen Erben schenkte. In ganz England leben seine Bastarde. Aber er hat keinen legitimen Sohn. Drei meiner toten Kinder waren Jungen.«
»Tut mir Leid«, flüsterte er. Was musste sie durchgemacht haben …
»Mir auch. Er war gnadenlos. Um jeden Preis wollte er einen Erben. Wenn ich nicht gerade ein Kind erwartete, schlug er mich oft bewusstlos, um mir seine Verachtung zu zeigen. Schließlich betete ich geradezu um seinen Tod.«
»Wie schrecklich …« Da er seinen Kummer mit ihr teilen wollte, erzählte er ihr von seiner großen Liebe zu Crying Sparrow und dem Baby. Nachdem die beiden bei einem Huronenangriff auf ihr Dorf gestorben
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