Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman
stören.
Erstaunlich, wie viele Leute mit Kinderwagen die Rolltreppe herunterkommen. Riesige Kinderwagen mit Mountainbike-Reifen. Das ist doch garantiert ein Sicherheitsrisiko. Ich halte nach bekannten Gesichtern Ausschau. Nichts, nichts, nichts.
Die Leute fallen einander um den Hals, schwenken ihre Spruchbänder und laufen singend im Kreis. Es ist das nackte Chaos, wie der Mann mit dem Namensschild ganz richtig sagte. Nach einer Weile beruhigen sie sich und wandern zum Gepäckband hinüber. Denn gleich landet auch schon die nächste Maschine, und dann die übernächste und die überübernächste undsoweiter undsofort.
Ich suche nach der Wand vor dem nicht-kanadischen Ausland. Wo ist diese verdammte Sperrholzwand geblieben. Sie kann doch nicht spurlos verschwunden sein. Aber ich finde nur eine bunt bemalte Nicht-Sperrholzwand. Ich klopfe dagegen.
Keine Reaktion.
Ich setze mich auf einen herrenlosen Koffer.
Der Fußboden ist nicht mehr ziegelrot gefliest, sondern plan und weiß. Wie geschaffen für Rollkoffer. War der neue Fußboden auch schon hier, als ich ankam. Ja. Der neue Flughafen. Jetzt fällt’s mir wieder ein. Kein Karussell mehr. Und kein IM BISS. Es kommt mir vor, als sei es Jahre her.
Ich weiß noch genau, wie die Gepäckwagen klapperten, wenn man sie über den alten Fußboden schob. So laut, dass einem die Zähne wehtaten. Wenn ich den Wagen schob, sagte mein Dad immer: Du fährst mir gehörig an den Karren.
Als ich fortging, schob er den Wagen und sagte: Na, fahre ich dir gehörig an den Karren, aber mir war nicht nach Scherzen zumute. Wir gaben meine Koffer auf. Onkel Thoby trug mein Handgepäck. Wir setzten uns in den IM BISS, aber ich brachte keinen Bissen hinunter. Mir war vor Aufregung ganz schlecht.
Heute wünschte ich, ich hätte über seinen dummen Scherz gelacht. Ich wünschte, ich hätte mich mit meinem Dad beschäftigt, statt meine Lenden für den Flug zu gürten. Warum habe ich keine Witze gemacht. Warum habe ich ihn nicht auf die Ähnlichkeit zwischen dem Holzschnitt an der Wand und Han Solo hingewiesen, wenn er von Darth Vader eingefroren wird. Normalerweise wies ich ihn immer auf die Ähnlichkeit zwischen dem Holzschnitt und Han Solo hin. Nur diesmal nicht.
Tapferes Fräulein Ming, sagte Onkel Thoby und knuffte meinen Dad zwischen die Rippen. Gleich springt sie quer über das Brett.
Wie es so ihre Art ist, sagte mein Dad.
Ich flog nach Europa. Verlaine hatte ihre Tante in der Schweiz gebeten, mich bei sich aufzunehmen. Von dort aus wollte ich in die Ferne schweifen und mit dem TGV ( train à grande vitesse ) fahren, wohin mein pochendes Herz mich trug. Nur die Schallmauer konnte mich aufhalten!
Ängstliches Fräulein Ming, sagte ich.
Angst ist ein Zeichen mangelnder Neugier, sagte Onkel Thoby. Und du bist viel zu neugierig, um Angst zu haben, Oddly.
Willst du auch wirklich nichts essen, fragte mein Dad. Fritten mit Bratensoße.
Ich schüttelte den Kopf. Dann brauche ich die Kotztüte.
Der Baum zu Hause an meiner Zimmerwand war kahl und würde kahl bleiben, bis ich wiederkam. Kein Bäumchen-wechsle-dich. Die Zeit sollte stillstehen, solange ich mein wohlbehaltenes Abenteuer erlebte. Nichts sollte sich ändern.
Stellen Sie sich lieber nicht vor, wie sie am Maschendrahtzaun standen und winkten. Und wie mein Dad ganz wacklig wurde auf den Beinen und sich aufs Pflaster setzte. Und wie Onkel Thoby ihm die Hand auf die Schulter legte. Und wie sie beide dachten, es wäre nicht für immer.
Bis auf DU SIEHST NICHT AUS WIE MEIN BESITZER ist das Transportband leer. Soll ich dich mit nach Hause nehmen, frage ich. Auch wenn ich nicht dein Besitzer bin.
Der Mann mit der Krawatte und dem Namensschild ist im Anmarsch.
Miss.
Ja.
Vermissen Sie jemanden.
Wie freundlich. Ich dachte, Sie wollten mich aus dem Ankunftsbereich verscheuchen.
Das steht als Nächstes auf meiner Liste.
Oh.
Er streckt mir eine Hand hin. Ich ergreife sie. Er zieht mich hoch. Ist doch alles halb so schlimm, oder, sagt er.
Schön wär’s.
Er geleitet mich hinaus, mit den Händen in den Taschen, als würden wir nur einen kleinen Spaziergang machen. Dann gute Nacht.
Wie. Schon so spät. Und ob.
Die Nacht ist hell, die Taxischlange lang, und der Kurzzeitparkplatz platzt aus allen Nähten. Ich weiß nicht mehr, wo ich geparkt habe. Ich gehe die Reihen entlang und popele an meinem Gerstenkorn herum. Diese ewige Sucherei wird langsam lästig. Wird das jetzt zur Marotte. Wo bist du, LeBaron. Wo ach wo. Da
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