Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman
dem Handlauf. Mein Brustpanzer schmiegte sich an das Holz, und meine Füße hingen in der Luft.
Cliffs Bruder Ridge hatte mich mit Hallo, Kröte begrüßt, worauf Audrey einwand, ich sei erstens kein Frosch und lebe zweitens nicht im Wasser, was sich schon daran erkennen ließe, dass ich keine Flossen hätte, sondern Füße. Und ihn folgendermaßen korrigierte: Eine Kröte verhält sich zu einer Schildkröte wie eine Meerjungfrau zu mir.
Das schmerzte. Ein wenig.
Mir blieb nichts anderes übrig, als diskret wegzusehen und den Mond mit seinen verfluchten Skihügeln anzustarren.
Cliffs Bruder Ridge steckte den Kopf durch die Tür und sagte: Die Anfangsszene ist vorbei. Das Kamel ist angekommen.
E rster Weihnachtsfeiertag, und ich sitze mit geballten Fäusten auf der Vortreppe des Obacht-Gebäudes. Der Wind schlägt mir buchstäblich ins Gesicht. Herrgott, ich könnte ihn nach Strich und Faden vermöbeln, den Trottel, der den Campus ausgerechnet so gestaltet hat, dass der Wind mühelos Orkangeschwindigkeit erreicht. Meine Augen tränen, und mein Gerstenkorn juckt.
Da kommt der Lada.
Verlaine bleibt noch einen Moment sitzen und starrt mich durch die Windschutzscheibe an. Ich winke.
Sie hat natürlich keine Jacke an.
Guten Morgen , sage ich, als sie die Treppe heraufkommt.
Sie wirft mir einen finsteren Blick zu. Non.
Bitte. Ich rappele mich hoch.
Sie schließt die Tür auf. Ich bin doch kein Museumsführer.
Und was war vergangene Weihnacht. Von der vorvergangenen ganz zu schweigen. Bist du sauer, weil ich einfach aufgelegt habe.
Non .
Ich möchte doch nur rasch einen Blick in Dr. O’Leerys Folterkammer werfen, damit ich ihn von meiner Liste streichen kann.
Ich folge ihr hinein. Sie wendet den Kopf und schaut mich an. Du siehst besser aus, sagt sie.
Wirklich. Ich streiche mir durch den Pony.
Aber du klingst genau so détraquée wie immer.
Détraquée.
Neben der Spur.
Ja, ich weiß. Ich folge ihr einen Gang entlang. Ich brauche bloß dreißig Sekunden.
Wenn Wedge in O’Leerys Labor wäre, hätte ich das längst gemerkt.
Hast du denn nachgesehen.
Bien sûr habe ich nachgesehen.
Vielleicht nicht gründlich genug.
Wie ich aus eigener Anschauung weiß, schenkt Verlaine den Tieren in ihrer Obhut keine allzu große Beachtung. Sie achtet lediglich darauf, dass sie ausreichend Trinkwasser, Trockenfutter und Sägespäne bekommen.
Wir kommen zu einer Tür, die Verlaines Fingerabdruck scannt. Hoi, das ist neu. Aber sind diese Sicherheitsvorkehrungen nicht ein klein bisschen übertrieben.
Mit Sicherheit nicht.
Hm. Sie hat nicht gesagt, dass ich hier draußen stehen bleiben soll. Also folge ich ihr. Wir kommen am Labor von meinem Dad vorbei. Sein Name steht noch an der Tür.
Dreißig Sekunden, sagt Verlaine und schließt Dr. O’Leerys Labor auf.
Die Mäuse in Dr. O’Leerys Labor haben ein gebrochenes Rückgrat. Ich gehe an den Käfigen entlang. Trotz ihres gebrochenen Rückgrats sind die Mäuse lebendig. Sie ziehen ihren gelähmten Unterkörper nach.
Ein leises Mäuseschluchzen steigt mir in die Kehle. Was wird denn hier erforscht.
Ich habe dir doch gleich gesagt, dass das keine gute Idee ist.
Ich dachte, Dr. O’Leery ist Psychologe.
Keine Ahnung, was der Kerl hier treibt. Pass auf, Audray. Wenn du tatsächlich davon überzeugt wärst, dass Wedge hier ist, hättest du schon vor fünf Tagen die Tür eingetreten. Er ist aber nicht hier. Also gehen wir.
Die Mäuse haben alphanumerische Codes an den Ohren, wie Autokennzeichen. Keine einfachen Nummern.
Wie wird ihnen das Rückgrat gebrochen.
Keine Antwort. Sie hält die Tür auf. Und ihre dicken Arme fest verschränkt. Okay. Weiter im Text. Wer tätowiert ihnen die Ohren. Du, nicht wahr.
Wie bitte.
Wie viele Mäuseohren hast du tätowiert.
Tätowieren kann man das nicht unbedingt nennen.
Wie viele.
Sie macht das Licht aus. Über die Jahre, keine Ahnung. Unendlich viele.
Was habe ich da drinnen eigentlich erwartet. Ich weiß auch nicht. Wenn schon nicht Wedge, dann vielleicht ein Bild von meinem Dad, das als Dartscheibe herhalten muss. Irgendetwas. Vor der Tür des Labors von meinem Dad bleibe ich stehen. Darf ich.
Verlaine zögert einen Augenblick. Dann zieht sie den Schlüssel aus der Tasche.
Es ist leer, aber es riecht regelrecht nach Hirnschmalz. He. Das Blumenkohlgehirn! Es ist ein Mensch, dieses Gehirn. Mein Gehirn kann diesen Gedanken immer noch nicht fassen. Was wird eigentlich aus Mr. Blumenkohl. Wird er ein neues Zuhause
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