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Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Titel: Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Grant
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hatte den Wagen also anscheinend gut versteckt. Als sie ihre nassen Kleider auszog und mich auf dem Couchtisch sitzen sah, sagte sie: Ach du Scheiße, Iris. Tut mir leid.
    Macht nichts.
    Sie setzte mich wieder in den Panasonic-Druckerkarton, den sie mit neuen Comics ausgelegt hatte, und machte das Licht aus.
    Weil du nachts gern einmal wach wurdest und ins Auto stiegst. Weil du gern wegwolltest.
    Und am nächsten Morgen bist du ja dann auch gegangen, nur hattest du diesmal keinen Fluchtwagen. Also bist du vermutlich entweder getrampt oder hast Ridge angerufen. Ich weiß es nicht. Du standest in der Küche und sagtest: Die Berge rufen. In voller Klettermontur. Samt Seilen. Und sie sagte nicht: Und was wird aus mir. Sie sagte: Und was wird aus Iris.
    Lange Pause.
    Und du sagtest: Möchtest du eine Schildkröte. Womit du sagen wolltest: Diesmal gehe ich ganz. Denn genau das hatte auch euer Vormieter gesagt, bevor er auszog: Möchtet ihr eine Schildkröte.
    Worauf sie gesagt hatte: Zu einer Schildkröte würde ich nicht Nein sagen. Und genau das sagte sie jetzt wieder.
    Und obwohl wir beide wussten, dass du zum Vormieter geworden warst, warteten wir geduldig darauf, dass du zurückkamst. Aber wir warteten umsonst. Du kamst nicht zurück. Und sie ging buchstäblich die Wände hoch. Und ich fror, die Wärmelampe hat nämlich die unselige Neigung, Schlösser in Brand zu setzen, und sie musste sie abbauen.
    Den Rest der Geschichte kennst du ja. Wie sie sich auf die Suche nach dir machte und diese Suche »Urlaub« nannte. Wie du im Grand Canyon aufgekreuzt bist und dich bei Nacht und Nebel davongestohlen hast. Während sie im Wartezimmer des Labors saß, in dem Schildkröten darauf untersucht werden, ob sie im Canyon heimisch sind – du hast sie einfach dort sitzen lassen, und weißt du, was sie sagte, als wir auf den Campingplatz zurückkamen. Sie sagte: Warum gibt es in Arizona eigentlich keine Helmpflicht. Haben Amerikaner keine Angst um die Gehirne ihrer Mitbürger.
    Sie sorgte sich immer noch um deine Sicherheit.
     
    G roßmutter wohnt in Knightsbridge. In der Nähe von Harrods, wie ich meinem explodierenden Stadtplan entnehme, aus dem einem Harrods in 3-D entgegenspringt. Großmutters Straße liegt sogar buchstäblich im Schatten von Harrods.
    Ich dachte, bei Harrods bekommt man Shortbread in Doppeldeckerbusdosen. Aber im Schaufenster ist alles ägyptisch. Beziehungsweise zartägyptisch angehaucht. Stühle mit Sphinx-Armlehnen. Schaufensterpuppen mit schwarzen Embryonenaugen und gebrochenen Handgelenken. Türstopper in Pyramidenform.
    Großmutter hat eine Wohnung und kein Haus. Also nichts mit Treppensteigen. Im Parterre gibt es einen alten Fahrstuhl, der von einem Mann mit goldenen Knöpfen namens Hillings betätigt wird. Hillings sagt, er verehre Mrs. Flowers und Hilly geradezu.
    Wen.
    Hilly, ihre Pflegerin.
    Und Sie sind.
    Hillings.
    Wir gleiten nach oben, und die Außenmauer gleitet nach unten. In den meisten Fahrstühlen kann man die Außenmauer nicht sehen.
    Quietschend öffnet sich das Gitter. Danke, Hillings.
    Stets zu Diensten.
    Als ich sie vom Atomotel aus anrief, sagte Großmutter: Ja, unbedingt. Komm. Und legte auf.
     
    Hilly macht mir die Tür auf. Sie ist winzig und hat O-Beine und eine kahlen Stelle am Hinterkopf. Sie rückt die Fußmatte vor der Tür zurecht und sagt (zur Matte): Willst du dich etwa schon wieder davonmachen, du kleiner Teufel.
    Ich betrete eine dunkle Diele.
    Sie nimmt mir den Mantel ab. Ihre Großmutter ist im Salon.
    Mir kommt der Gedanke, dass Hilly eventuell eine verlässlichere Informationsquelle ist als Großmutter oder Toff. Ich berühre sie am Arm. Ich suche meinen Onkel, sage ich.
    Haben Sie schon mal im Telefonbuch nachgesehen.
     
    Der »Salon« ist mit minzegrünem Teppich ausgelegt und hat eine weiße Säule in der Mitte. Die Säule stellt eine Griechin dar. Sie trägt die Decke auf dem Kopf. Ich stutze. So etwas begegnet einem in Innenräumen ja eher selten. Rings um die Säule stehen zierliche Tische mit spindeldürren Beinchen, die pfotenförmig enden. Auf den Tischen drängen sich Nippes und andere Kleinigkeiten.
    Vorsicht mit den Tischen.
    Großmutter sitzt am Fenster. Mit einem Gips am rechten Arm. Komm her, sagt sie, ohne mich anzusehen. Mir fällt ein, dass sie nicht sehen kann.
    Komm her und lass dich anschauen, sagt sie.
    Ich mache einen Bogen um die Tische und setze mich in den Sessel ihr gegenüber. Keine Umarmung. Kein Kuss.
    Audrey.
    Hallo.
    Sie ist

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