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Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Titel: Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Grant
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ist Oregon City zu Ende. Taylor, Polk, Tyler, Harrison. Ich sehe die Brücke. So viele Präsidenten, so wenige Namen. Wie sollen Autofahrer die nur alle auseinanderhalten.
    Cliffs Haar flattert im Wind. Der Himmel ist bedeckt, aber es regnet nicht. Beim zweiten Adams gerät der Verkehr plötzlich ins Stocken. Dann sind wir auf der Brücke. Und tief unten sehe ich den Willamette. Sehr tief unten. Er sieht alles andere als einladend aus. Mir sinkt das Herz in die Kniekehlen. Ich schaue Chuck fragend an. Ob er Shakespeares Schildkröte hauruck über das Geländer befördern wird. Freut er sich darauf nicht schon seit Wochen.
    Er sieht zu mir, dann wieder auf die Straße.
    Dezent mache ich mich daran, das Armaturenbrett zu überqueren.
    Wo willst du denn hin.
    Und dann kurbelt er das Fenster herunter! Doch nein. Er wirft nur die Zigarettenkippe hinaus.
    Was ist, sagt er und kurbelt das Fenster wieder hoch.
    Der Verkehr kriecht über die Brücke. Chuck macht ein verkniffenes Gesicht. Ich muss daran denken, dass man seine gebrochene Rippe sehen kann, wenn er nackt ist. Ich muss daran denken, wie er aus dem Fenster starrt. Und wieder kriege ich es mit der Angst zu tun. Die erst verfliegt, als wir vor unserem alten Haus in Portland halten. Chuck setzt mich in mein Schloss und überreicht mich Cliff. Sie heißt Winnifred, sagt er. Nicht Iris.
    Cliff nickt. Das mit dem Briefbeschwerer tut mir leid.
    Schon gut.
    Und einen Augenblick lang stehen wir unschlüssig auf dem Gehsteig. Dann sagt Chuck: Gehab dich wohl, Winnifred. Und verbeugt sich. Was er sonst nie tut. Oder will er nur sein Gesicht verbergen. Ich strecke den Kopf aus dem Fenster und sehe ihm nach, während Cliff mich davonträgt.
     
    Cliff klettert die Wände hoch. Es ist genau wie früher, nur dass ohne Audrey nichts genau wie früher ist. Die Wohnung wirkt muffiger und kälter. Cliff entdeckt die Wärmelampe und montiert sie wie eine zweite Sonne über meinem Schloss. Damit du es mollig warm hast, Winnifred, sagt er und versucht sich zum ersten Mal an meinem neuen Namen.
    Er serviert mir mein Abendessen und nimmt das seine auf dem Boden sitzend ein. Vom Klettern sind seine Hände kreideweiß. In einer Hand die Fünf-Minuten-Terrine. In der anderen einen winzigen Löffel. Neben sich eine große Flasche. Er bewundert mein Schloss und sagt: Handwerklich war sie immer schon begabt.
    Wir denken daran, wie sie die Wohnung in einen Berg verwandelte. Weißt du noch, wie sie die Klettergriffe auf dem Boden ausbreitete und meinte, sie sähen aus wie Utah aus der Luft. Ja. Weißt du noch, wie sie die ersten Griffe in den Gips zu schrauben versuchte und sie ihr unter den Fingern wegbrachen. Ja. Und dann kam sie auf die Idee, alles mit Sperrholz zu verkleiden. Wodurch die ganze Wohnung auf jeder Seite zwei, drei Zentimeter kleiner wurde. Die Wände rückten näher zusammen. Aber man konnte an ihnen klettern. Ja. Man konnte an ihnen klettern.
    Warum bist du fortgegangen, Cliff.
    Er schlürft seine Fünf-Minuten-Terrine. Seine dritte Fünf-Minuten-Terrine.
    Folgendes ist dir eventuell entfallen. An dem Abend, bevor du fortgegangen bist, hast du dir den Kopf am Überhang gestoßen, was offen gestanden schon des Öfteren vorgekommen war, und du hast geblutet. An der Stirn. Und sie holte ein Stück Küchenkrepp und legte es auf die Wunde, und dann saßt ihr zu zweit auf dem Futon, und sie presste ihre Stirn an deine Stirn und sagte: Fehlt dir etwas. Und ihr saht so erbärmlich aus, wie ihr dasaßt, die Stirnen aneinandergepresst und dazwischen ein Stück Küchenkrepp. Und sie sagte: Rück mal eben, dann mache ich das Bett. Und so rücktest du mal eben, und sie verwandelte das Sofa in ein Bett, was ich übrigens schon immer faszinierend fand.
    Ich saß nicht in meinem Panasonic-Druckerkarton. Ich saß auf dem Couchtisch, denn als du dir den Kopf gestoßen hast, war sie gerade dabei, die Comics auf dem Boden meines Schlosses in spe auszutauschen. Ich saß auf dem Couchtisch und sah dein Spiegelbild im Fernseher. Im dunkelgrauen Glas des Bildschirms, der das ganze Zimmer konvex verzerrte und die Klettergriffe wie Zähne aussehen ließ.
    Und kaum war das Bett gemacht, bist du auch schon hineingekrochen und warst in Sekundenschnelle weg. Sie hingegen. Weißt du, was sie getan hat. Sie ging nach draußen und setzte den Wagen um, damit du ihn nicht finden würdest. Sie war knapp eine halbe Stunde weg. Sie machte das auch nicht zum ersten Mal. Als sie wiederkam, war sie klatschnass. Sie

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