Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman
eingehen.
Soll ich nicht vielleicht doch mitkommen.
Möchtest du denn mitkommen.
Ähm. Nein.
Er küsste mich auf die Stirn. Ein schwarzes Taxi hielt vor dem Haus. Es war nicht Clint, aber der Fahrer trug einen Schnurrbart und sah Clint ziemlich ähnlich.
Flieg Qantas, sagte ich.
Ich ging wieder hinein und dachte: Was, wenn so die Zukunft aussieht.
Da merkte ich, dass ich das Haus riechen konnte. Man kann das eigene Haus nur riechen, wenn der eigene Geruch plötzlich fehlt. Oder der Geruch eines anderen. Oder wenn man den Müll nicht rausgebracht hat. Früher konnte ich unseren Familiengeruch nicht riechen.
Ich beschloss, meine Zeit sinnvoll zu nutzen. Und Wedges Laufrad zu schmieren. Ein wenig WD-40, und fertig. Bald würde er aus seinem Mäuseschlummer erwachen und, Wunder über Wunder, feststellen, dass sein Laufrad frisch geölt war und nicht mehr quietschte!
Ich setzte mich mit dem Laufrad an den Küchentisch. Dass aus der Spraydose so viel herauskommt, hätte ich nicht gedacht. Scheiße. Alles voller WD-40. Sogar die Metallsprossen des Laufrads. Jetzt würde Wedge seine Hände und Füße mit einem Toxin besudeln und sich vergiften, wenn er an den Nägeln kaute. Herrgott. Früher hat mein Dad das erledigt. Wie hat er das bloß gemacht.
Du hättest ein Stück Küchenkrepp damit einsprühen und dann die Radachse und nur die Radachse schmieren sollen.
Tja, ich habe eben zwei linke Hände.
Mach das sauber.
Gleich. Plötzlich wurde mir ganz weinerlich zumute. Ich stützte den Ellenbogen auf den Tisch, und er rutschte einfach weg.
Die Abzugshaube sang ihr ominöses b. Der Teich hinter dem Haus war verschwunden. Die Wetterbombe hatte ihn ausgelöscht. Ob es an dem Tag, als er nach Hause ging, auch eine Wetterbombe gab. Das möchte ich mir lieber gar nicht vorstellen. Trotzdem habe ich das Bild deutlich vor Augen. Und mir wird klar, dass noch viele solcher Bilder kommen werden und dass eins schmerzlicher sein wird als das andere. Eine Wetterbombe droht über der Stadt zu explodieren, und er verlässt das Obacht-Gebäude und wünscht Verlaine einen bon soir , die ihm anbietet, ihn nach Hause zu fahren, was er dankend ablehnt, weil er das Wetter grundsätzlich nicht persönlich nimmt. Dabei gibt es noch nicht mal ein Trottoir. Trotzdem geht er zu Fuß. Und sein letztes Wort war vermutlich bonsoir.
Onkel Thoby hat gesagt, als Verlaine meinen Dad im Krankenhaus besucht habe, sei es ihr gar nicht gut gegangen. Das kann ich mir zum Glück nicht vorstellen.
Vor dem letzten Gespräch mit meinem Dad hatte ich mir Notizen gemacht. Vor wichtigen Telefongesprächen lege ich mir oft einen Notizzettel zurecht. Damit ich mich nicht verzettele. Und dieses Telefongespräch war wichtig, denn ich hatte soeben meine alte Schulakte von der GOLEM ( GO tt des L ichts und der E wigen M ilde und Barmherzigkeit) zugeschickt bekommen und lauter gute Neuigkeiten. Dachte ich jedenfalls.
Es war die Sorte Akte, die man, als Betroffener und Betreffender, normalerweise gar nicht zu Gesicht bekommt. Andere (Lehrer, Arbeitgeber, Freunde, Nachbarn) können bei der Schule einen Antrag auf Akteneinsicht stellen. Alle, nur man selbst nicht. Der Inhalt soll einem auf ewig und immerdar verschlossen bleiben. Vielleicht hing der Umstand, dass ich diese Akte irrtümlich erhalten hatte, mit dem Niedergang des katholischen Schulsystems und dem bevorstehenden Abriss des GOLEM-Gebäudes zusammen.
Auf meinem Zettel hatte ich mir Folgendes notiert:
1. Oregon, der enorme Graswuchs in.
2. Rauch- und Feuermelder, die Unterschiede zwischen.
3. Quecksilber in Dosentunfisch, die Gefahren von.
4. Französisch-Crashkurse, die Vor- und Nachteile von.
5. Mein IQ!
Die ersten vier Punkte hakten wir relativ zügig ab. (Tunfisch ist ab sofort gestrichen, Win.) Dann ließ ich die Bombe platzen. Der braune Briefumschlag, den mein Dad mir nachgeschickt hatte. Ja. Halt dich fest. Darin waren die Testergebnisse. Damals mussten wir unbedingt nachweisen, dass wir auch nach unserem Französisch-Crashkurs noch in der Lage waren, Englisch zu sprechen und einfache geometrische Figuren zu erkennen. Und jetzt rate mal.
Was.
Wie hoch mein IQ ist!
Pause. Und.
Ich nannte ihnen die Zahl.
Keine Reaktion.
Ich sollte vielleicht erwähnen, dass auch Onkel Thoby in der Leitung war.
Ist das nicht toll, sagte ich. Wahnsinn, oder.
Nein, Blödsinn, sagte mein Dad nach kurzem Zögern.
Warum. Warum ist das Blödsinn. Für so intelligent hättet ihr mich wohl nicht
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