Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman
Byrne. Ziemliches MVW, was.
Was.
Massenvernichtungswetter.
Ich dachte, das heißt Wetterbombe.
Geht beides, wenn man dem Wetterkanal glauben darf.
Ich freue mich immer, wenn der Wetterkanal klare Sicht voraussagt, sagt Jim. Dann weiß ich, es wird ein schöner Tag.
Byrne Doyle legt mir die Hand auf die Schulter und fragt, wo mein Onkel sei.
Er holt jemanden vom Flughafen ab.
Aber heute gehen doch mit Sicherheit keine Flüge.
Doch, sage ich, heute gehen sehr wohl Flüge, und sie sind alle pünktlich.
Byrne schüttelt den Kopf. Die Piloten von heute kann anscheinend nichts mehr schrecken.
Unsinn. Die Piloten von heute sind größenwahnsinnig, sagt Jim.
Am besten gar nicht hinhören, sagt Byrne.
Jim Ryans Einfahrt ist schon freigeschaufelt. Byrne Doyles nicht. Ich rieche Schweiß. Das kann eigentlich nur Jim sein. Bitte, sage ich, als die beiden sich anschicken, die Einfahrt in Angriff zu nehmen. Bitte, macht euch keine Umstände.
Sie winken mich beiseite.
Byrne Doyles Mantel ist völlig unpraktisch. Wie eine Zwangsjacke aus Wolle.
Dein Onkel, sagt er keuchend. Hat meine Einfahrt schon tausendmal freigeschaufelt. Wenn nicht öfter.
Ich wollte, ich hätte seine Arme, sagt Jim.
Was für meinen Geschmack an eine Beleidigung grenzt.
Onkel Thoby schaufelt seit Jahren Byrne Doyles Einfahrt frei, als Entschädigung dafür, dass mein Dad ihn nicht gewählt hat. Politik ist im Hause Flowers ein kompliziertes Thema. Das heißt, es wurde kompliziert, als Onkel Thoby und Byrne Doyle sich kennenlernten. Bis dahin war eigentlich alles ganz einfach. Wir wählten orange. Wenn einem seine Mitmenschen am Herzen lagen, wählte man orange. Jetzt gab es da ein klitzekleines Problem: Was tun, wenn einem ein blauer Kandidat am Herzen liegt.
Ich weiß noch, wie ich Byrne Doyle einmal am Wednesday Pond über den Weg lief, als er für einen Posten kandidierte – bei einer Provinzwahl, wenn mich nicht alles täuscht. Er ging gern am Teich spazieren, bis über beide Ohren in Wahlkampfgedanken vertieft, in Begleitung eines kleinen, definitiv nicht in Wahlkampfgedanken vertieften Hundes. Onkel Thoby hatte mich von der Schule abgeholt, und wir blieben stehen und hielten ein Schwätzchen. Das heißt, Onkel Thoby blieb stehen und hielt ein Schwätzchen. Ich spielte derweil mit dem Hund. Der Hund hieß Page. Page hatte ganz schwarze Augen, die man aber nur sehen konnte, wenn man seinen Pony zur Seite schob.
Jedenfalls hatte Byrne Doyle gesagt, den Umfrageergebnissen zufolge werde das Wahlvolk ihn am langen Arm verhungern lassen, und später sagte Onkel Thoby, er habe ein schlechtes Gewissen. Byrne habe vermutlich schon an der Farbe seiner, Onkel Thobys, Handschuhe erkannt, dass wir ihn nicht wählen würden. Die orangenen Handschuhe waren ein Geschenk von meinem Dad und hoben sich grell gegen das Eruptivgestein ab.
Byrne Doyles Handschuhe waren natürlich blau.
Wir gingen noch ein Stück am Ufer entlang, und Onkel Thoby sagte: Armer Byrne Doyle.
Wieso arm. Weil ihn das Volk verhungern lässt.
Was.
Scroooooooooge, brüllte ich.
Psst, Oddly.
Aber er sieht genau aus wie Jacob Marley.
Ich weiß. Trotzdem. Dann seufzte er und sagte: Leute mit Hunden. Sind im Allgemeinen. Traurig.
Traurig! Aber Page hat wie wild mit dem Schwanz gewedelt, als ich ihn auf den Arm genommen habe. Er hat sich ganz toll gefreut.
Ja. Page schon.
Da begriff ich, was er meinte. Byrne Doyle hatte seine Freude ausgelagert. Weil er innerlich furchtbare Angst hatte, dass die Wähler ihn verhungern ließen. Darum hatte er seine ganze Freude ausgelagert in seinen knuddeligen kleinen Hund.
Am selben Abend sagte mein Vater: Deiner Meinung nach soll ich also Jacob Marley wählen.
Immer nur orange ist doch auch eintönig, sagte ich.
Worauf Dad stinkwütend wurde. Kommt nicht in die Tüte, sagte er.
Wir machten Abendessen. Maccaroni mit Käse. Aber nicht aus der Tüte. Sondern die echten mit drei Sorten Käse, den man (beziehungsweise Onkel Thoby) selber reibt, und Hummerstückchen drin.
Warum sind Hummer eigentlich sommersprossig wie meine Schultern.
Keine Antwort.
Mit meinen Alphabetmagneten schrieb ich WÄHLEN SIE BYRNE DOYLE UND PAGE an die Kühlschranktür.
Mein Dad machte den Kühlschrank auf. Er hielt inne. Wieso Page. Hat der edle Herr am Ende einen Knappen.
Ich dachte, wir sind eine Demokratie, sagte Onkel Thoby.
Da hatte er nicht ganz unrecht. Angeblich waren wir eine Demokratie in einer Demokratie. Onkel Thoby durfte in Kanada nicht
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