Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman
gehalten.
Wir halten dich sogar für über alle Maßen intelligent, sagte Onkel Thoby nachdrücklich.
Und …
Pass auf, Audrey. Du weißt doch, was bei solchen Tests gemessen wird. Die Übereinstimmung zwischen deinem Gehirn und dem Gehirn desjenigen, der sich den Test ausgedacht hat.
Ja, sagte ich. Na und. Da dämmerte es mir. Langsam. Dass der Wert, den ich für hoch gehalten hatte, ganz und gar nicht hoch war. Er sah nur so aus. Nicht übel, nein, eigentlich sogar ziemlich gut, jedenfalls besser, als meine Schulnoten je ausgesehen hatten.
Oh. Er ist niedrig, stimmt’s.
IQ ist ja noch nicht mal ein richtiges Akronym, sagte Onkel Thoby. GOLEM ist ein richtiges Akronym. SCUBA ist ein richtiges Akronym. IQ hingegen kann man noch nicht mal aussprechen. Nimm’s nicht persönlich.
Und ob man es aussprechen kann. Man kann es Ick aussprechen.
Na schön. Weil du’s bist.
Mit Akronymen kannte ich mich immer schon gut aus. Akronyme sind etwas für intelligente Menschen mit Geheimnissen.
Mein Dad sagte: Was, in drei Teufels Namen, haben sich die GOLEM-Leute dabei bloß gedacht. Wie erleuchtet. Wie barmherzig.
Ich muss jetzt Schluss machen, sagte ich.
Audrey.
Du wusstest es die ganze Zeit, sagte ich. Du wusstest, dass ich einen niedrigen Ick habe, und hast es mir nicht gesagt.
Oddly …
Genau darum kann ich Telefone auf den Tod nicht ausstehen, sagte mein Dad. Ich kann ihr Gesicht nicht sehen.
Warum konnten wir nicht einfach plaudern wie sonst auch. Onkel Thoby jammert, er könne sich die Portland’schen Dramatis Personae ums Verrecken nicht merken – wer war gleich wieder dieser Chuck -, und mein Dad sagt: Dramatis Personae, gibt’s so was bei uns etwa auch, und Onkel Thoby sagt: Aber ja, nur vergisst man uns so leicht nicht wieder. Und ich sage: Haha.
Ich legte den Hörer auf und sagte: Niedriger IQ. Ce n’est pas possible.
Winnifred ließ ein Salatblatt fallen.
Das ist unmöglich, übersetzte ich.
Dumm nur, dass es so unmöglich vielleicht doch nicht war.
Onkel Thoby sitzt in seiner Ecke und sagt: Bist du da. Das Telefon klingelt. Willst du nicht drangehen. Du brauchst nicht dranzugehen, wenn du nicht willst.
Nur dass Onkel Thoby gar nicht da ist.
Ich lasse Wedges Laufrad fallen.
Mein erster Gedanke ist: Onkel Thoby ist tot, und das ist sein Geist. Beziehungsweise seine Geister, Plural. Denn seine Stimme kommt nicht nur aus seiner Ecke, sondern auch aus dem ersten Stock.
Bist du da. Das Telefon klingelt.
Da fällt es mir wieder ein. Das ist das neue Telefon. Das Hear Ye 3000. Das ich bis jetzt nicht habe »klingeln« hören. Das also ist der Klingelton.
Das Hear Ye 3000 hat Onkel Thoby meinem Dad zu ihrem letzten Geburtstag geschenkt. Ich weiß noch, wie mir mein Dad davon erzählte. Er meinte, endlich ein Telefon, das ihn nicht quält. Wenn das Telefon klingele, habe er jedes Mal das Gefühl, erdolcht zu werden.
Woher willst du das wissen, Dad. Oder bist du schon mal erdolcht worden.
Na schön, sagte er, trotzdem. Immer wenn ich ein Telefon klingeln höre, wird mir ganz flau im Magen.
Also hatte Onkel Thoby ein Telefon gekauft, das eine Bach-Fuge spielte. Mein Dad meinte, besagte »Fuge« bestehe aus lediglich drei Tönen und sei in Wahrheit eindeutig ein Klingelton. Als Nächstes kaufte Onkel Thoby ein Telefon mit Schnurrfunktion. Das Schnurren, meinte mein Vater, sei nichts weiter als ein leiser Klingelton. Stilett statt Schlachtermesser.
Und jetzt, wer hätte das gedacht, das Hear Ye 3000! Mit dem man seinen eigenen »Klingelton« aufnehmen kann. Jetzt wird man von der schmeichelnden Stimme eines lieben und geliebten Menschen ans Telefon gelockt.
Die Tastatur des Hear Ye leuchtet golden. Ich lecke mir das Schmierfett von den Fingern. Nehme ab.
Hallo.
Das Verwirrende am Hear Ye 3000 ist: Man rechnet automatisch damit, dass es sich bei dem Anrufer um dieselbe Person handelt, die einen an den Apparat geholt hat. Aber es ist nicht dieselbe Stimme.
Kann ich Walter Flowers sprechen.
Nein.
Schweigen am anderen Ende. Der Anrufer wartet auf eine Erklärung. Es gibt aber keine Erklärung, Anrufer.
Er hustet. Also, äh, ich bin von der Firma Christmatech. Wir rufen unsere Lichterketten Modell D-434 zurück. Wir haben Sie deshalb schon mehrmals angeschrieben.
Zurückrufen. Sie meinen vom Markt nehmen.
Pause. Äh, ja. Wir würden diese Lichterketten gern gegen das Modell D-534 austauschen. Und Ihnen einen Gutschein über zehn Dollar zukommen lassen.
Das ist sehr nett von
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