Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Titel: Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Grant
Vom Netzwerk:
Pferden auf der Tagesdecke, dem kahlen Baum an der Wand, den Charlie-Brown-Kissen. Der Tisch hier ist mein neues Hauptquartier, sagte ich und gab ihm einen Klaps.
    Ja, sagte er. Aber warum.
    Ich zuckte die Achseln. Weil der Rest des Hauses wehtut.
    Er nickte. Tja, sagte er. Ich weiß.
     
    Am Steuer bin ich tapfer. Die Straßen sind weiße Tunnels. Ich singe »Die Ballade vom langarmigen Mann«:
    Der langarmige Mann kratzt die Scheiben frei
weil er da besser rankommt als ich.
Er klebt die Blätter ganz oben dran
Beim Bäumchen-wechsle-dich!
     
    Die kaputte Batterie im Feuermelder
Wechselt der Langarmige auch immer aus
Aber dazu braucht er weder Stuhl noch Leiter
Sondern bloß seinen Arm auszustrecken.
    Was ich total super finde, sind die kleinen aus dem Schnee gegrabenen Nischen für die Hydranten. Sie sehen so süß aus, wie sie da stehen und auf ein Unglück warten. Ich finde es super, wie wir vorausdenken und Unglücke verhindern. Dafür liebe ich uns Menschen.
    Was noch. Zum Beispiel das Schild NACHBARSCHAFTS-WACHE, wo jemand das Wort WACHE mit gelbem Isolierband überklebt und VERTRAUEN darübergeschrieben hat. So etwas finde ich ganz wunderbar.
    Aus dem Handbuch der Young Drivers of Canada: Dann und wann werden Sie etwas Wunderbares am Straßenrand entdecken, sich davon magisch angezogen fühlen und das Steuer versehentlich in die entsprechende Richtung …
    Ähm, macht Onkel Thoby.
    Tut mir leid. Ich steuere gegen. Extravehikuläre Ablenkung.
    Außer Schnee kann ich eigentlich nicht allzu viel Extravehikuläres entdecken, sagt er.
    Schon, aber genau darum lenkt mich alles, was nicht Schnee ist, so sehr ab. Keine Angst. Ich habe alles im Griff.
    Außer Clint’s Cabs sind keine anderen Autos unterwegs. Immer wenn uns eins entgegenkommt, hupe ich Sturm. Keiner der Fahrer ist der echte Clint.
    Onkel Thobys Knie wackeln. Statt zu zittern. Zittern hat eine höhere Frequenz als Wackeln und lässt sich nicht so leicht abstellen. Insofern ist das Wackeln vermutlich ein Fortschritt gegenüber unserer letzten gemeinsamen Fahrt. Ich habe den Eindruck, dass er vor diesem Treffen mit Toff noch mehr Angst hat als ich. Vielleicht wackelt er aber auch bloß mit den Knien, weil wir einer Kollision mit dem NACHBARSCHAFTSVERTRAUEN-Schild nur um Haaresbreite entgangen sind.
    Toff ist nicht der Feind, sagt er nach einer Weile. Klar.
    Ich nicke.
    Er mustert mich scharf. Was will mir dieses Nicken sagen.
    Dass Toff sehr wohl der Feind ist.
    Oddly.
    Der Feind Nummer Eins. Heißt Toff.
    Der linke Scheibenwischer ist an einem Stückchen Eis hängengeblieben. Ich kurbele das Fenster herunter, um ihn zu befreien. Der Scheibenwischer ist dünn wie ein Insektenbein.
    Wenn Toff irgendetwas tut oder sagt, gibst du mir ein Zeichen, und ich gehe mit ihm raus.
    Onkel Thoby macht ein besorgtes Gesicht. Raus wohin.
    Erst vor die Tür. Und dann vor die Hunde.
    Was soll denn das nun wieder heißen.
    Weiß ich auch nicht. Aber wenn man es sich so vorstellt. Ist doch ein schönes Bild.
    Der schwächelnde Scheibenwischer ist nach wie vor auf meine Hilfe angewiesen. Wir halten an einer roten Ampel. Ich steige aus. Befreie den Scheibenwischer. Bitte sehr. Steige wieder ein. Der Scheibenwischer hat einen Platz in meinem Herzen. Eigentlich hat so ziemlich alles einen Platz in meinem Herzen, außer Toff. So ist das, wenn man Feinde hat. Und das ist auch gut so.
    Als ich gestern nach dem Abendessen aus dem Fenster sah, bemerkte ich, dass kein einziges Haus am Wednesday Place mit Lichterketten geschmückt ist. Onkel Thoby sagte, das sei ihm auch schon aufgefallen. Ich sagte: Aber es hingen doch sonst überall Lichterketten, oder. Er sagte: Ich weiß nicht genau, aber ich glaube ja. Vielleicht hat sie dieser Kerl von Christmatech zurückgerufen.
    Wohl kaum. Am Wednesday Place hingen vielmehr deshalb keine Lichterketten mehr, weil mein Dad tot war, pardon, ist. Und wegen der Umstände, unter denen er sein Leben gelassen hat. Und dafür liebe ich unsere Nachbarn. Ich liebe sie und rekrutiere sie hiermit für mein Heer im Kampf gegen Toff, den Henker und Vollstrecker meines Vaters.
     
    Onkel Thoby sagt immer, Angst sei ein Zeichen mangelnder Neugier. Mag sein. Aber Angst ist auch ein Zeichen für mangelnden Schutz.
    Es ist glatt und geht bergab. Nicht bremsen. Federn lassen. Unten blockiert ein quer stehender Streifenwagen die Fahrbahn. Eine Stromleitung ist gerissen, und der Streifenwagen bewacht die Unglücksstelle mit blitzendem Signallicht. Mir wird ganz

Weitere Kostenlose Bücher