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Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Titel: Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Grant
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hier geschlafen.
    Wo.
    Am Tisch.
    Warum.
    Ich habe meine Gründe.
    Aber heute Nacht schlafe ich vielleicht doch in meinem Zimmer. Unter meinem Baum. Plötzlich scheint alles möglich. Vielleicht akklimatisiere ich mich langsam und gewöhne mich an dieses Haus, in dem mein Dad jetzt nicht mehr lebt. Die fremden Menschen helfen mir dabei. Sie werden das Haus aller unschönen Assoziationen berauben und dann verschwinden.
    Am besten gar nicht daran denken, wo mein Dad jetzt ist.
    Heute Morgen hat meine Tante angerufen, sagt Verlaine. Sie lässt ihr herzliches Beileid ausrichten.
    Hoppla. Madame Mourou hat angerufen. Da ist Haltung gefragt. Ich richte mich auf.
    Sie hat sich nach dem Amerikaner erkundigt. Ich habe ihr gesagt, das mit dem Amerikaner ist vorbei, und du gehst nicht zurück. Stimmt doch, oder.
    Ich starre auf ihr weißes Polohemd. Komisch, dass Ralph Laurens Pferde immer aussehen, als ob sie jeden Moment umkippen würden. Und einen Augenblick lang ist der einzige Amerikaner, der mir einfällt, der Winzling, der im Galopp aus ihrer Brust geritten kommt und einen Poloschläger schwingt.
     
    Es klingelt an der Tür. Eigentlich ist es meine Aufgabe, die Gäste zu empfangen, aber Verlaine sagt Nein, ich mach das schon. Und so bleibe ich allein am Küchentisch zurück. Allein mit mir und Toff, der draußen vor dem Fenster steht. Die Studenten haben sich zerstreut, und er hat die spitzen Schultern bis zu seinem Halstuch hochgezogen. Warum hat er eigentlich keinen Mantel an. Ich presse die Lippen zusammen. Er tut es mir nach. Jeder Mensch hat sein ganz eigenes, ganz und gar unglückliches Lächeln. Das ist meins. Komisch nur, dass Toffs genauso aussieht. Wir schürzen die Lippen und ziehen die Augenbrauen hoch. Was kommt als Nächstes, sagen unsere Augenbrauen. Was kann jetzt überhaupt noch kommen.
    Ich verzeihe dir den Nachruf, sagen die Augenbrauen. Ich verzeihe dir, dass du das Testament deines Vaters in den Brunnen des Fairfont geworfen hast. Ich verzeihe dir, dass du mich zwingst, zum Rauchen auf die Veranda zu gehen, und das bei diesem Massenvernichtungswetter. Mir geht es genauso elend wie dir.
    Aber warum denn, Toff. Und warum musstest du mir vorwerfen, mich über den Namen von meinem Dad lustig gemacht und ihn auf eine bloße Medulla Oblongata auf dem Gehsteig reduziert zu haben.
    Okay. Ich bitte um Entschuldigung. In aller Form. Aber warum musstest du die Beerdigung ruinieren und dich wie eine Irre gegen die Gefängnismauer werfen.
    Okay. Aber warum stört dich das so sehr.
    Okay. Aber warum hasst du mich.
    Okay. Aber warum musstest du neulich beim Abendessen vom Civil Manor anfangen, als wäre es eine amüsante Anekdote. Als wären die Sorgen und Ängste, die mein Dad und Onkel Thoby meinetwegen ausgestanden haben, nichts weiter als eine amüsante Anekdote.
    Okay. Aber warum bist du damals ausgerissen.
    Weil ich Großmutter und dich gehasst habe. Und weil ich Onkel Thoby liebe.
    Okay. Warte einen Augenblick, ich will mir nur rasch die vierhundertste Zigarette heute anstecken. Warum hast du uns gehasst.
     
    Okay, schwelgen wir ein bisschen in unseren wenigen gemeinsamen Erinnerungen, solange Onkel Thoby in sicherer Entfernung weilt. Es gab viele Gründe, warum ich euch gehasst habe. Sehr viele sogar. Von denen ich nur eine Handvoll kenne. Aber Onkel Thoby ist euretwegen ins Hotel gezogen . Wegen dir und Großmutter und euren stets pikierten Augenbrauen. Und darum bin ich ihm heimlich gefolgt. Um ihn vor euch zu beschützen. Weil ihr ihn nach England entführen wolltet. Wo er todsicher verschwunden worden wäre. Was bedauerlicherweise zur Folge hatte, dass mein Dad vor Angst fast wahnsinnig wurde und Onkel Thoby hinterher den Vorwurf machte, mich verloren zu haben. Obwohl ich mich weder verlaufen hatte. Noch ertrunken oder gar überfahren worden war. Aber das wussten sie natürlich nicht.
    Ich war in Zimmer 205 des Civil Manor eingeschlafen und wachte erst auf, als nebenan in Zimmer 203 das Telefon klingelte. Dreimal darfst du raten, wer das war. Mein Dad. Der Onkel Thoby fragen wollte: Wo ist Audrey. Aber Onkel Thoby war noch im Bebe’s, deshalb nahm niemand ab. Ich wusste, dass es mein Dad war. Ich hörte es an dem besorgten Klingeln. Ich setzte mich im Dunkeln auf. Es war schrecklich. Das Telefon klingelte und klingelte. Und ich streckte meine Fühler aus, in eine Welt, in der mein Dad sich Sorgen machte. Mein Dad war hinter der Wand und rief nach mir, und ich konnte ihm keine Antwort geben.
    Also

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