Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman
stand ich auf und stellte mich an die Wand.
Schließlich hörte es auf. Dad, sagte ich in den Heizungsschlitz. Ich wollte doch gar nicht nicht nach Hause kommen.
Da ging mir ein Licht auf. Ich hatte ja ein Telefon im Zimmer. He! Ich konnte ihn anrufen.
Aber du bist drangegangen.
Wo steckst du, sagtest du.
Im Civil Manor, sagte ich.
Dein Vater ist außer sich.
Dann gib ihn mir doch mal.
Er ist gerade zur Tür raus.
Oje.
Ich legte auf. Ich setzte mich aufs Bett. Das würde Ärger geben. Ob er wohl hierherkommen würde. Ja. Und zwar schnurstracks, auf schnellstem Wege. Er würde mit Doreen sprechen. O ja, Ihr Töchterchen war hier. Im Regenmantel, als die Dinosauriersendung lief.
Und mein Dad würde sich sehr beherrschen müssen, um nicht zu brüllen: Und wann lief die Dinosauriersendung.
Dann würde er einen Blick auf das Schlüsselbrett werfen und feststellen, dass der Schlüssel zu Zimmer 205 fehlte. Ah. Und er würde vor sich hin nicken und murmeln: Danke, Doreen.
Oder er würde zuerst am Teich nachsehen. Vielleicht war ich ja hineingefallen. Ja, er geht einmal um den Wednesday Pond herum und ruft meinen Namen. Und als ich keine Antwort gebe, springt er hinein. Die Polizei will den Teich mit Tauchern absuchen, aber siehe da, der Teich hat keinen Grund. Und mein Dad ist verschwunden, auf Nimmerwiedersehen. Aber wohin. Wohin führt der grundlose Teich. Ob er woanders wieder auftaucht.
Und all das nur, weil mein Dad zu Hause auf mich wartete und ich nicht kam.
Aber so war es nicht. Weil mein Dad, als in Onkel Thobys Zimmer niemand abnahm, schnurstracks und auf schnellstem Wege ins Bebe’s ging.
Das muss ein unschöner Moment gewesen sein. Den ich mir lieber nicht vorstellen möchte.
Aber ich habe sie doch nach Hause gebracht.
Ach ja. Und warum ist sie dann nicht zu Hause.
Onkel Thoby lässt seinen Billardstock sinken. Pardon, sein Queue. In Zeitlupe. Und seinen Piratensherry.
Armer Onkel Thoby.
Ich kann mir die beiden lebhaft vorstellen, ganz wacklig auf den Beinen und nur einen einzigen Gedanken im Kopf: Wo ach wo ist sie geblieben. Sie suchen die Straßen rings um den Wednesday Pond ab. Und rufen Oddly.
Ich ließ sie lange nach mir suchen. Ich sah mir eine ganze Folge Love Boat an. Das ist eine Serie, die man sich eigentlich nicht ansehen muss, weil man in dem Moment, wo die Gesichter im Lenkrad des Schiffes auftauchen, schon weiß, wer sich in wen verlieben wird. Ich sah fern und stellte mir vor, wie mein Dad und Onkel Thoby nach mir suchten. Ich vergoss die eine oder andere Träne. Dann kamen die Nachrichten, und ich machte den Fernseher aus, denn wer weiß, vielleicht kam ich ja darin vor.
Ich zerrte einen Sessel ans Fenster. Aus PIETY war PITY geworden, denn das E war ausgegangen.
Schließlich hielt der LeBaron vor dem Hotel. Mein Dad und Onkel Thoby stiegen aus.
Dad!
Er blieb schlagartig stehen. Sah zu mir herauf.
Onkel Thoby legte ihm die Hand auf die Schulter. Mein Dad schloss die Augen. Sie waren in null Komma nichts draußen auf dem Flur. Ich riss die Tür auf. Hallo.
Mein Dad schloss mich in seine Arme.
Als wir nach Hause kamen, spielten Großmutter und du Karten. Weißt du noch. Ich trampelte nach oben in mein Zimmer. Mein Bett stank nach Rauch, darum holte ich das Lysol-Spray aus dem Bad und desinfizierte das gesamte Zimmer (und mich versehentlich gleich mit). Dann, auf dem Weg zurück ins Bad, hörte ich von unten Großmutters Stimme. Wieder betonte sie fast jedes Wort. Ich blieb stehen.
Weißt du eigentlich, was du diesem Kind antust, hörte ich sie sagen.
Und mein Dad sagte: Nein, warum.
Ich hatte einen ekligen Geschmack im Mund (Lysol). Ich ging in mein Zimmer und machte die Tür hinter mir zu. Ich legte mich ins Bett. Meine Augen brannten.
Weißt du eigentlich, was du diesem Kind antust.
Ich wusste, worauf sie anspielte. Der andere Elternteil. Wo ist der andere Elternteil. Und du hast offenbar nicht die geringste Ahnung, was du diesem Kind antust, Walter. Normale Familien bestehen aus einem König, einer Dame und einem Buben. Und nicht aus einem Dad, einem Piraten und einem Kind, das noch nicht mal weiß, wie alt es ist.
Aber mein Dad hatte mir das ganz genau erklärt. Dass es in manchen Familien nur ein Elternteil gibt. Und in anderen zwei. Letztlich aber gehe es einzig und allein um die Frage, wer zum Elternsein bereit sei und wer nicht. Und wenn jemand nicht dazu bereit sei, könne man ihn auch nicht zwingen. Und wenn jemand dazu bereit sei, wie mein Dad,
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