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Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Titel: Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Grant
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Dielen zum Federn. Toff kommt um die Ecke. Mit hochgeklapptem Kragen. Seine Lippen haben die gleiche Farbe wie sein Halstuch. Seiner Miene nach zu urteilen hat er es zumindest teilweise mit angehört, mein Gespräch mit dem Mann von Christmatech. Den ich in dem Glauben gelassen habe, mein Dad sei noch am Leben.
    Ich versuche, mein ganz eigenes, ganz und gar unglückliches Lächeln aufzusetzen. Nur ist es weder ganz noch gar.
    Toff geht an mir vorbei ins Haus.
     
    In puncto Weihnachtsbeleuchtung kannte mein Dad keine Hemmungen. Trotzdem gilt es auch dabei, die eine oder andere Regel zu beachten:
    Im Haus muss es dunkel sein – kein Licht in den Zimmern -, bevor man sie einschaltet. Zwei Mitglieder der Familie Flowers (Oddly und Thoby) müssen zur anderen Seite des Teiches marschieren, um zu sehen, ob sich die Beleuchtung von Wednesday Place Nummer 3 auch richtig in der Wasseroberfläche spiegelt. Mehr Licht fürs Geld. Doppelte Leistung. Et cetera.
    Während sie warten, stampfen Oddly und Thoby mit den Füßen und vollführen ein kleines Tänzchen. Los jetzt, Walter, sagt Onkel Thoby. Los jetzt. Und zack. Gehen die Lichter an. Potzblitz. Uns bleibt jedes Mal die Luft weg. Auch die Beleuchtungstechnik macht von Jahr zu Jahr Fortschritte. Wissen Sie noch, als die Lichterketten aus richtigen Glühbirnen bestanden, die noch dazu unglaublich heiß wurden. Wissen Sie noch. So heiß, dass sie allen anderen Weihnachtsschmuck zum Schmelzen brachten. Dann wurden sie kleiner. Heller und stärker. Wenn eine ausging, brannten die anderen wacker weiter. Sie leuchteten wie Edelsteine. In allen Farben. Und wenn man sie in die Hand nahm, strahlten sie wie eine kleine Kirche. Sie gingen nicht in Flammen auf. Und wenn man sie sich in den Mund steckte, brachten sie die Wangen regelrecht zum Glühen. (Lass das, Audrey. Warum. Wie lautet die Regel Nummer Eins für den Umgang mit allem, was unter Strom steht. Ach ja.)
    Jetzt warten die beiden Flowers auf das dritte Familienmitglied. Onkel Thoby summt das »Halleluja«. Die Ganzjahresschwäne gleiten majestätisch durch die schillernden Fluten. Schließlich hören wir Schritte. Es ist Walter. Er hält sich mit einer Hand die Augen zu, damit er das Haus nicht sehen kann, und sagt: Und.
    Ach Walt.
    Ja. Sprich weiter. Sag es.
    Du hast dich wieder mal selbst übertroffen.
    Soso. Und er lässt die Scheuklappenhand sinken und dreht sich um, um den Anblick zu genießen. Und wenn er das nicht furchtbar albern fände, würde er jetzt ein Freudentänzchen aufführen. Ja, er hat sich selbst übertroffen. Wie viel Watt es diesmal sind, verrate ich euch nicht, sagt er.
    Warum.
    Weil ihr vor Schreck tot umfallen würdet.
    Ha.
    Und die Schwäne stecken den Kopf unter Wasser und sagen: Kannst du bis auf den Grund sehen. Nein. Du. Nein.
    Und Oddly sagt: Irgendwo guckt jemand in seinen Teich ohne Grund und sieht unsere Beleuchtung!
    Was für ein schöner Gedanke, sagt Onkel Thoby und legt Oddly einen orangenen Handschuh auf den Kopf.
    Nur dass der Teich sehr wohl einen Grund hat, sagt Walter.
    Und wie erklärst du dir dann, dass er nie zufriert, Walter.
    Er war durchaus schon einmal zugefroren, sagt mein Dad.
    Wann, sagt Onkel Thoby.
    Vor deiner Zeit.
    Das ist zwar sehr lieb von dir, aber …
    Was soll das heißen. Lieb von mir.
     
    Judds Van kriecht davon. Ich stelle mir vor, wie das von oben aussieht. Ein rotes Rechteck in einem weißen Straßenlabyrinth. Ich fühle mich eigentlich ganz gut. Ich sitze mit einer Schachtel Lichterketten (Modell D-534) auf der Veranda. Die Schachtel könnte ein recycelter Pizzakarton sein. Als Judd sie mir gab, sagte er, er fände es komisch, dass in der ganzen Straße kein einziges Haus beleuchtet sei.
    Versprechen Sie mir, dass Sie das alte Modell nicht benutzen, sagte er.
    Ich presste mir die Schachtel an die Brust. Indianerehrenwort.
    Stellen Sie sich vor, Sie wären Lichterkettenerfinder. Ich hebe den Deckel. In der Schachtel liegt eine zusammengerollte Schlingpflanze aus grünen Kabeln mit verheißungsvollen dunklen Knospen.
    Ein dicker Mantel legt sich um meine Schultern. Ich blicke auf. Toff. Er geht wieder hinein. Ja. Ich bin noch nicht so weit, wieder hineinzugehen.
     
    V erlaines Lada will nicht anspringen. Jim Ryan stampft wütend um den Wagen herum und stößt Flüche und Verwünschungen aus. Ein antikes sowjetisches Vehikel verstopft und verschandelt meine Einfahrt. Welche Farbe hatte er ursprünglich. Dunkelbeige. Und welche Farbe hat er jetzt. Dunkelbeige.

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