Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman
Und wollen wir sie überhaupt haben.
Sie drohte mit dem Finger.
Sie sagte oft, mein Dad habe das Herz am rechten Fleck. Aber letzten Endes – und auch das sagte sie oft und gern -, letzten Endes sei er harmlos.
Was sie offenbar für einen Vorzug hielt.
Weshalb ich mich letzten Endes bei der Frage ertappte: Wie harmlos ist Patience eigentlich.
Einmal schenkte sie meinem Dad ein pinkfarbenes Duracell-Häschen zu Weihnachten, nur dass es statt einer Trommel ein Schild mit der Aufschrift METHUSALEM-HASE in Händen hielt. Ziemlich witzig. Nicht.
Ich habe keine Ahnung, weil ich es nämlich nicht verstand. Wir kaufen immer Energizer, sagte ich. Andere Batterien kommen uns nicht ins Haus.
Aber mein Dad fand das Häschen witzig. Sagte er jedenfalls. Und gab ihm einen Ehrenplatz auf seinem Schreibtisch. Man sah es sofort, wenn man in sein Büro kam.
Mir jedoch war das Häschen nicht geheuer. Und manchmal, wenn ich die Füße auf den Schreibtisch legte, gab ich ihm einen Tritt. Wenn auch keinen allzu festen. Denn wie gesagt, ich liebte Patience, aber mein Dad war doch kein Wunschtraumtänzer oder wie das heißt. Er war doch kein Häschen, das auf ein blödes Schild eintrommelt.
Und manchmal, wenn ich mit meinem albernen, liebenswerten, harmlosen Dad nach Hause ging, war ich ganz geknickt. Seinetwegen. Dann bat ich ihn, mich aufzurichten. Hochzuheben. Huckepack zu nehmen. Und mir zu verzeihen. Weil sein Gehirn Lichtjahre tief war und Patience das nicht begriff. Weil er uns ewiges Leben schenken würde, Patience. Und nicht irgendeine blöde Batterie.
Das Häschen hatte etwas furchtbar Verletzendes.
Und auch die Trauerseife hat etwas Verletzendes. War sie in einem früheren Leben vielleicht ein Stück Irischer Frühling.
Ist dir aufgefallen, dass ich seinen Namen richtig geschrieben habe, sagt Patience. Eine Anspielung auf meinen Nachruf.
Ich nicke. Weißt du, was ich wirklich fantastisch fände, Patience. Wenn mein Dad, sobald die Worte WALTER FLOWERS IST TOT verschwunden sind, aufhören würde, tot zu sein.
Wieder tätschelt sie mir den Arm. Und wieder sagt sie: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.
Manche Witze finde ich völlig in Ordnung, andere nicht. Das Duracell-Häschen geht nicht in Ordnung. Aber Patience ärgert sich vermutlich über den Nachruf. Genau wie Toff. Vielleicht lassen sich die Menschen, die meinen Dad geliebt haben, in zwei Kategorien einteilen: Die einen stören sich an meinem Nachruf, die anderen an dem Hasen.
Ich schwimme durch das Meer von Menschen und entdecke Onkel Thoby auf Clints Insel. Wie schön. Hier bin ich sicher. Wo ist Toff, frage ich ihn.
Er sieht sich um.
Schon gut, sage ich. Dann bleibt er eben verschollen.
Er fragt, was in der Schachtel ist. Ich zeige ihm die Trauerseife. Er macht ein verärgertes Gesicht, bis ich ihm sage, dass ich sie von Patience bekommen habe. Ah. Ja, das passt.
Das ist doch Irischer Frühling, oder.
Er schnuppert und sagt leise: Die herzhafte Frische für jeden Tag.
Clint nimmt mich in den Arm. O mein Entchen, o mein Schatz. Ich klemme unter seiner dunkelgrauen Achsel. Auf seiner Brusttasche ist ein Clint’s Cab. Clint ist ganz mollig und warm. Kann ich auch so ein Hemd haben, murmele ich.
Nur, wenn du für mich fährst. Wir stellen ein.
Seit wann bist du eigentlich Politiker, Clint.
Seit dieser Wahl.
Du willst aber doch nicht ernsthaft nach Ottawa ziehen, oder.
Die Frage wird sich wohl kaum stellen, Schätzchen.
Dabei kam heute Morgen erst eine von Clints Wahlkampfbroschüren mit der Post. Vorne drauf war ein Bild von einem Clint’s Cab, das in den Sonnenuntergang fuhr, und aus dem Fenster wehte ein langer, orangener Schal – wohin wollte dieses Taxi wohl, wenn nicht nach Ottawa.
Der Sonnenuntergang ist von hier, sagt Clint.
Trotzdem, ein komisches Bild für eine Wahlkampfbroschüre. Ich musste vorhin, auf dem Friedhof daran denken, als die Sonne schräg durch die kahlen Bäume fiel. Es war kaum zwei, und schon ging die Sonne unter. Ich muss heute ein bisschen früher weg. Alle Hände voll zu tun. Und flupp, versank sie dottergelb im Schnee.
Ich schloss die Hand um die Broschüre in meiner Tasche und konnte mich des Gedankens nicht erwehren, dass Sonnenuntergänge einzig und allein dazu da sind, dass man in sie hineinfährt. Oder hineinstirbt.
Bevor wir zum Friedhof fuhren, schaute ich nach der Post, weil ich immer nach der Post schaue, und warum sollte das heute anders sein. Als Toff nach der Post schauen wollte, brüllte ich
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