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Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Titel: Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Grant
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ankamen, ging bereits die Sonne unter. Sie hatte schlimme Blasen an den Füßen. Cliffs Blick war stumpf und ausdruckslos, als ob ihm seine Harley fehlen würde. Wir kraxelten über die Felskante und wurden von der Parkpolizei in Empfang genommen. Mit blinkendem Signallicht.
    Ist diese Schildkröte im Canyon heimisch.
    Diese Schildkröte ist bei mir heimisch, sagte sie.
    Wir kamen in Untersuchungshaft.
    In einem beigefarbenen Gebäude wurden wir getrennt. Zwei beige gekleidete Park Rangers untersuchten mich. Alles in Arizona ist beige, aus Rücksicht auf das Beige des Canyons.
    Sie stellten mich auf den Kopf. In jedem Sinne.
    Ich bin weder in Arizona zu Hause. Noch in Texas. Aber waren die Männer in Beige auch intelligent genug, das zu bemerken.
    Waren sie. Sie brauchten bloß ein Weilchen. Als ich aus dem Untersuchungszimmer kam, saß sie allein da und wartete. Wo ist Cliff.
    Cliff hatte sich nach Colorado aufgemacht. Und seine Kreditkarte mitgenommen.
     
    A ls ich aufwache, sind meine Arme zu einer Doppelhelix verschlungen, und meine Handrücken berühren sich. Regel Nummer Eins für Richtigen Schlaf. Liegen Sie in Korkenziehersprungstellung. Ja. Dann haben Sie richtig geschlafen.
    Das Erste, was ich sehe, ist der Baum an meiner Wand, dessen kahle Äste mich umschließen wie die Rippen das Herz. Es ist noch nicht ganz hell. Ich gebe die Sprungstellung auf und strecke die Beine. Ich habe das Gefühl, endlich gelandet, endlich zu Hause zu sein. Vielleicht ist man immer erst richtig irgendwo angekommen, wenn man dort eine Nacht geschlafen hat. Kurze Montagen am Küchentisch nicht mitgerechnet.
    Die oberen Äste des Baumes sind an den Deckenkanten geknickt wie ein Löffel in einem Glas Wasser. Wie heißt das noch gleich. Refraktion. Onkel Thoby hat den Baum mit der linken Hand gemalt. Der Pinsel war ziemlich weit weg. Er meinte, er sei kurzarmigen Malern gegenüber eindeutig im Vorteil, weil er beim Malen das große Ganze im Auge behalten könne. Die Äste gabelten und gabelten sich. Der Baum schoss an nur einem Nachmittag aus dem Boden. Onkel Thoby brachte die Klettknospen an. Dann bastelte er das Zubehör: grüne Blätter für den Sommer, rote und gelbe Blätter für den Herbst, Schneef locken für den Winter, rosa Blüten für den Frühling.
    Regel Nummer Eins, sagte er. Du kannst den Baum nur zu den Tag- und Nachtgleichen und den Sonnenwenden umdekorieren.
    Ist gut.
    Weißt du was, fragte er. Wenn es keine Schalttage gäbe, würden die Jahreszeiten immer weiterwandern, und bald wäre Weihnachten im Juli.
    Dann ist Weihnachten also nur meinetwegen im Dezember.
    Nein. Aber deinetwegen liegt der Dezember im Winter .
    Ich steckte mir ein Blatt ins Haar. Ich sorge dafür, dass die Jahreszeiten bleiben, wo sie sind. Moi.
     
    Ich entknote die Arme und drehe mich zum Fenster. Demnächst ist Sonnenwende. Heute oder morgen. Wenn man an einem Schalttag geboren ist, hat man das im Gefühl. Das ist wie eine Superkraft. Zugegeben, keine besonders aufregende Superkraft, aber immerhin. Eine Sonnenwende erkennt man daran, dass das Licht am Ende ist. Die Sonne setzt uns quasi auf Diät. Auch die Tag- und Nachtgleiche erkenne ich am Licht. Wenn die Sonne mitten über dem Äquator steht.
    Und weil die Wintersonnenwende kurz bevorsteht, hat die Sonne das Begräbnis gestern so früh verlassen. Darum ist es so dunkel. Darum ist es so still.
    Moment mal. Warum ist es so still. Ich beuge mich über die Bettkante und sage Onkel Thobys Namen in den Heizungsschlitz. Keine Antwort. Noch so etwas, das ich auf Anhieb erkenne. Ein leeres Haus.
    Ich stehe auf. Rufe nach Onkel Thoby. Noch immer keine Antwort. Wieder rufe ich. Und wieder, als ich nach unten gehe. Bist du da. Warum antwortest du nicht. An der Kellertreppe bleibe ich stehen. Onkel Thoby.
    Da unten ist er nicht.
    Auf der Küchenanrichte liegt ein Zettel. Ich starre ihn von Weitem an. O nein. Mir sinkt das Herz in die Kniekehlen. Lies den Zettel. Ich kann nicht. Und ob ich kann. Nein, ich kann nicht. Ich kann nicht lesen. Mein Herz fängt an zu hämmern.
    Ich kann dem Zettel beim bestem Willen keinen Sinn abringen. Dummes dummes Hirn. Selbst im Licht der Abzugshaube erkenne ich nur das eine oder andere Wort. Onkel Thoby hat aber auch eine Sauklaue. Es könnte Süße oder Füße heißen. Ich weiß es nicht. Ich entziffere Clipart . Hä. Ich entziffere Schlagsahne . Ich entziffere demnächst . Servus .
    Aha. Ich blicke auf. Er ist Schlagsahne kaufen gegangen, um sich die Füße zu

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