Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman
vertreten. Und ist demnächst wieder da.
Am Fuß der Seite steht in Druckbuchstaben Toff . Das kann ich lesen. Und dahinter eine Telefonnummer und eine Adresse. Eine Londoner Adresse.
Da steht nicht Clipart, sondern Airport .
Ich schnappe mir Zettel, Schlüssel, Mantel. Und renne mit offenen Schnürsenkeln nach draußen. Schnell, schnell ins Auto. Spring schon an. Mein Atem ist überall. Als ich den Wagen rückwärts aus der Einfahrt setze, fällt mir ein, wie Onkel Thoby gestern Abend auf der Veranda stand. Als er glaubte, er sei allein. Allein mit sich und seiner Trauer.
Was hat Toff ihm angetan.
Mit Bleifuß zum Flughafen. Ich fahre schlecht, unvorsichtig, und starre dabei die ganze Zeit auf Onkel Thobys Zettel zwischen meinen Fingern. Beim Fahren versuche ich zu lesen. Ab und zu blicke ich auf, und die Straße ist leer. Leer, leer, leer. Wie auf einer verlassenen Insel. Ich überfahre eine rote Ampel nach der anderen.
Heißt das London oder Libanon. London. Und er schreibt noch nicht einmal, warum. Er schreibt auch nicht Auf Wiedersehen. Nur Servus. Bis demnächst.
Als ich aufblicke, bin ich schon auf dem Parkway über der Stadt. Das Confederation Building links von mir sieht aus wie eine Treppe, die auf der einen Seite hoch- und auf der anderen wieder runtergeht. Rechts von mir, in weiter Ferne, trägt der Signal Hill einen leuchtenden Weihnachtssheriffstern. Fröhliche Weihnachten und den Führerschein bitte.
Hinter mir Blaulicht und Sirene. Mist. Ich fahre rechts ran.
Fröhliche Weihnachten und den Führerschein bitte.
Guten Morgen, Sheriff. Aber den Führerschein habe ich leider nicht dabei.
Ich bin kein Sheriff.
Aber ich habe einen. Irgendwo.
Der Wind bläht seine Jacke. Er starrt auf den Zettel zwischen meinen Fingern. Sie sind Schlangenlinien gefahren, sagte er.
Dabei bin ich eine exzellente Autofahrerin.
Sie hätten jemanden umbringen können.
Es war doch kaum jemand unterwegs, den ich hätte umbringen können.
Er wird langsam, aber sicher nervös. Kaum jemand unterwegs.
Ja, die Straßen waren so gut wie leer.
Und da wollten Sie die Zeit zum Lesen nutzen.
Wir starren beide auf den Zettel. Ich entziffere die Wörter Tut mir leid . Und sehe sie plötzlich überall. Der Zettel ist förmlich übersät damit.
Ich schaue ihn an.
Er hat es auch gesehen.
Ich muss so schnell wie möglich zum Flughafen, Sheriff.
Er nickt und klopft mit der flachen Hand aufs Dach. Fahren Sie, sagt er. Blöde Kuh.
Plötzlich kommt mir ein Gedanke. Onkel Thoby schreibt nicht: Ich fliege dann zurück nach London. Tschüs. Warum auch. Nein, er schreibt vielmehr: Ich bringe Toff dann weg und bis demnächst. Servus. Weil Toff heute Vormittag wieder nach London fliegt. Genau. Toff . Toff fliegt zurück nach London. Und nicht Onkel Thoby. Onkel Thoby bringt Toff bloß fort. Zum Airport. Fort zum Airport. Das klingt gut.
Nur: Warum sollte er so etwas tun. Und warum das viele Tut mir leid. Warum Toffs Adresse.
Füße, tut mir leid, dass ich zum Clipart musste. Soundso soundso Schlagsahne soundso London. Bis demnächst. Servus.
Ich klammere mich an das Wort Servus . Denn das ist Onkel Thobys Wort. Und er benutzt es ständig, egal ob er in den Keller geht, eine Runde um den Teich dreht oder einem Nachbarn einen Gefallen tut und ihm beispielsweise die Einfahrt freischaufelt oder eine Glühbirne auswechselt, an die man nur schwer herankommt. Er hat es noch nie benutzt, wenn er nach London geflogen ist. Weil er nie wieder nach London geflogen ist. Nicht ein einziges Mal. Weiter als bis zum Civil Manor ist er nie gekommen. Und an wem lag das.
Weil der Flughafen wegen einer Granate evakuiert worden ist, komme ich nicht hinein. Die Leute stehen draußen herum und essen Donutbällchen. Bitte zurücktreten, gleich geht hier alles in die Luft.
Was, der ganze Flughafen.
Die Drehtür würde mir schon reichen.
Ich lasse den Blick über die Menge schweifen. Kein Onkel Thoby weit und breit. Von einem Mann mit ähnlicher, wenn auch symmetrischer Figur erfahre ich, dass diejenigen Passagiere, die die Sicherheitskontrolle schon durchlaufen hatten, woandershin evakuiert worden seien.
Ach. Ich stelle mich neben ihn, weil er so ähnlich aussieht wie Onkel Thoby.
Wenn Onkel Thoby nicht auf dem Parkplatz ist, heißt das:
a. Er ist ein Passagier und hat die Sicherheitskontrolle bereits durchlaufen, oder
b. er ist kein Passagier, hat sich von Toff jedoch bereits verabschiedet und ist mit einem Clint’s Cab unterwegs nach
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