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Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Titel: Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Grant
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ich Chuck vermutlich um mindestens ein Jahrhundert überleben werde. Es sei denn natürlich, er macht seine Drohung wahr und wirft mich in den Willamette.
    Es klopft an der Tür. Er setzt mich ab.
    Vielleicht ist es Julius von UPS mit einem neuen Geschenk. Ein Feuerlöscher. Eine Straßenkarte inklusive Wegbeschreibung nach Kanada. Etwas, das mir sagt, dass sie mich nicht vergessen hat. Dass sie an mich denkt. Dass ich nicht völlig von der Bildfläche verschwunden bin.
    Aber es ist nicht Julius. Es sind Chucks Schauspielerfreunde. Die Strolche kommen zur Probe.
    Diesen Sommer führen die offiziellen Freiluft-Shakespeare-Mimen drei Antonio-Stücke auf: Der Kaufmann von Venedig, Der Sturm und noch eins, dessen Titel mir entfallen ist. Chuck will am anderen Ende des Parks Hamlet auf die Bühne bringen. In dem kein Antonio vorkommt. Er wirbt sogar damit. Hamlet: Garantiert Antonio-frei!
    Ich mache mich zu meinem Pool auf. Eins ist mir inzwischen klar. Wenn mein Brustpanzer nass ist, brauche ich nicht als Lesezeichen Dienst zu tun. Denn Chuck käme nie im Leben auf die Idee, mich abzutrocknen . Und heute kann Shakespeare mir, mit Verlaub, den Buckel runterrutschen.
    Operation abgebrochen. Unterwegs liest Lucius, der einen besonders pestilenzialen Gestank verströmt, mich auf.
    Ich ziehe den Kopf ein. Und so roch? Pah!
    Er nennt mich W-W-Wanda und tut, als wollte er mich fressen. Was die anderen offenbar irre komisch finden. Sie klatschen sich buchstäblich auf die Schenkel. Dann kommen sie zur Sache. Lucius hat für die Heart and Stroke Foundation Geld gesammelt. Dabei hat er mit der Heart and Stroke Foundation nicht das Geringste zu tun. Bislang hat er vierhundert Dollar beisammen. Renard und Dicks Discount-Dachdeckerei (»Bei jedem Wetter«) floriert. Sie haben sich auf Flachdächer spezialisiert, wo man sie von der Straße aus nicht sehen kann.
    Früher, in der guten alten Zeit, gehörten sie zu einer Wandertruppe, die Parks in Oregon, Kalifornien und Nevada bespielte. In letzter Zeit jedoch meucheln sie den Schwan von Stratford aufgrund chronischen Geldmangels nur noch im Umkreis von Oregon City und kommen über Bend und Boring nicht hinaus. Aber es blinkt ein Silberstreif am Horizont, und an diesem regnerischen Winterabend ist die Rede davon, ob man in der nächsten Saison nicht in die Shakespeare-Hochburg Ashland fahren solle, wo die Stücke den ganzen Sommer über laufen wie geschmiert, und das beileibe nicht nur im Park. In Ashland boomt das Shakespeare- Business : An jeder Ecke gibt es ein Theater und Läden, in denen man Stiefel und Stulphandschuhe kaufen kann.
    Chuck meint, in Ashland würde er sich eventuell sogar dazu hinreißen lassen, einen Antonio zu spielen. Ein Antonio in Ashland sei schließlich allemal so gut wie ein Hamlet in Boring, wenn nicht besser.
    Ich gleite in meinen Pool. Lese das Rezept auf dem Grund, obwohl ich es auswendig kenne. Ich liebe das Wort verquirlen . Verquirlen, flüstere ich manchmal, wenn ich ins Wasser gleite. Verquirlen Sie das Eigelb.
     
    Einmal fuhren wir durch Ashland. Ich erinnere mich an Männer in schimmernder Rüstung. Funkelnde Waffen. Kettenhemden. Wir hielten an einer Tankstelle, wo ein Mann sich einen Fechtkampf mit einer Tanksäule lieferte.
    Ich beobachtete ihn durch die insektenverschmierte Windschutzscheibe.
    Wie findest du seinen Degen, fragte Audrey, als sie wieder in den Wagen stieg.
    Ich ließ ein Salatblatt fallen.
    Vergiss es.
    Und weiter ging es Richtung Süden. Sie hatte das Zelt eingepackt. Transportables Zimmer, komm, hatte sie gesagt, womit sie entweder mich meinte oder das Zelt, da bin ich mir nicht ganz sicher. Wir belasteten Cliffs Kreditkarte. Kreditkartenkäufe sind wie Brotkrümel. Man hinterlässt eine Spur. Aber wenn mich damals jemand gefragt hätte, ob diese Strategie wohl aufgehen würde und unser maßloses Anhäufen von Stiefeln und Stulphandschuhen, Meilen und Motels geeignet sei, Cliff anzuziehen wie ein Magnet, dann hätte ich gesagt: Nie und nimmer.
    Ich fuhr auf dem Armaturenbrett durchs Shakespeare-Land. Von dem Stress, den Cliffs Verschwinden ihr verursachte, hatte sie ein Gerstenkorn am Auge. Sie war mit Sommersprossen förmlich übersät. Wir überquerten die Grenze nach Kalifornien, und das Radio rüttelte meinen Brustpanzer gehörig durch. Wir sahen Windräder. Hunderte, ja Tausende von Windrädern. Es war später Nachmittag, und Audrey sagte: Ich sehe gar keine Berge.
    Nein. Nur wogende Hügel.
    Ich finde, wir sollten uns

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