Die Erste Liebe: Nach 19 Vergeblichen Versuchen Roman
tun.«
Lindsey drehte sich auf dem Beifahrersitz nach hinten. »Du liebst das Mädchen wirklich, oder?«
Und dann fing Colin wieder an zu weinen, und Lindsey kletterte auf den Rücksitz und legte den Arm um ihn, und Colin lehnte den Kopf an ihren Kopf. Er versuchte, nicht so viel zu schluchzen, weil die Vorstellung eines schluchzenden Jungen unfassbar unattraktiv war. Lindsey sagte: »Lass es raus, lass es raus«, und dann sagte Colin: »Ich kann nicht, weil, wenn ich es rauslassen würde, würde ich klingen wie ein Ochsenfrosch beim Brunftschrei«, und dann mussten alle lachen, sogar Colin.
Als sie nach Hause kamen, arbeitete Colin bis elf an seinem Theorem. Lindsey versorgte ihn mit mexikanischem Hühnchensalat von Taco Hell, doch Colin brachte nur wenige Bissen hinunter. Er hielt im Allgemeinen nicht allzu viel von Essen, erst recht nicht, wenn er arbeitete. Aber an diesem Abend war seine Arbeit umsonst. Das Theorem funktionierte einfach nicht, und er musste einsehen, dass das Heureka-Erlebnis falscher Alarm gewesen war. Für die Idee zu dem Theorem hatte es gereicht, ein Wunderkind zu sein. Doch um es tatsächlich zu entwickeln, war ein Genie gefragt. Kurz, Colin hatte nicht genug in der Birne, um sein Theorem auch zu beweisen.
»Ich verbrenne dich«, sagte er um kurz nach elf laut zu seinem Notizblock. »Ich werde dich ins Feuer werfen.« Was eine schöne Idee war, nur dass es weit und breit kein Feuer gab. Im sommerlichen Tennessee waren knisternde Kamine selten, und da Colin nicht rauchte, hatte er auch kein Feuerzeug zur Hand. Colin durchforstete seinen adoptierten Schreibtisch, ohne Erfolg. Doch er hatte es sich in den Kopf gesetzt, den verdammten Notizblock mit all dem theoremetischen Gequatsche in Brand zu stecken. Entschlossen ging er durchs Bad zu Hassan rüber und öffnete einen Spaltweit die Tür seines dunklen Zimmers.
»Hast du mal ein Streichholz?«, fragte er, zu laut für ein Flüstern.
»Daddy schläft.«
»Ich weiß, aber hast du ein Streichholz oder ein Feuerzeug oder so was?«
»Daddy muss scharf nachdenken, aber Daddy fällt kein harmloser Grund ein, warum du Daddy mitten in der Nacht eine so beschippte Frage stellen könntest. Nein. Daddy hat kein Streichholz oder Feuerzeug. Und, ja, du hast recht, langsam reicht es mit dem Daddy-Gequatsche. Jedenfalls musst du schon bis morgen früh warten, wenn du dich mit Benzin begießen und Fakahiri machen willst.«
»Harakiri«, berichtigte Colin und zog die Tür hinter sich zu.
Er ging die Treppe hinunter und schlich sich an Hollis Wells vorbei, die zu beschäftigt mit ihren Papierbergen und dem brüllenden Homeshopping-Kanal war, um ihn zu bemerken. Am Ende des Flurs war die Tür, von der er annahm, dass sie zu Lindseys Zimmer führte. Er war noch nie bei ihr gewesen, aber er wusste, dass sie immer aus diesem Teil des Hauses kam. Außerdem brannte unter dem Türspalt Licht. Er klopfte leise.
»Herein.« Lindsey saß auf einem Plüschsessel unter einer riesigen Pinnwand, die sich über die ganze Breite des Zimmers erstreckte, voll mit Fotos von Lindsey und Katrina, Lindsey und DAC, Lindsey im Tarnanzug. Es sah aus, als hinge hier jedes einzelne Foto von Lindsey Lee Wells, das existierte – nur dass Colin mit einem Blick sah, dass es ausschließlich Fotos aus den letzten Jahren waren. Keine Babyfotos, keine Kinderfotos, keine Emo-Hippie-Goth-Anarcho-Punk-Fotos. An der Wand gegenüber stand ein riesiges Himmelbett. Auffällig war außerdem das Fehlen jeglicher Pink- und Rosa-Töne.
»Hier ist es so unrosa«, stellte Colin fest.
»Die einzige Zufluchtsstätte im ganzen Haus«, sagte sie.
»Hast du ein Streichholz?«
»Klar, tonnenweise«, antwortete Lindsey, ohne aufzublicken. »Wofür?«
»Ich will das hier verbrennen.« Er hielt den Block hoch. »Ich krieg das Theorem nicht hin, und jetzt will ich es verbrennen.«
Lindsey sprang auf, stürzte auf ihn zu und riss ihm den Block aus der Hand. Eine Weile blätterte sie durch die Seiten. »Kannst du es nicht einfach wegwerfen?«
Colin seufzte. Offensichtlich hatte sie nicht begriffen. »Klar könnte ich. Aber wenn ich schon kein Genie bin – und offensichtlich bin ich das nicht –, dann will ich wenigstens meine Arbeit verbrennen wie ein Genie. Denk an all die Genies, die ihre Sachen verbrannt haben – mit mehr oder weniger Erfolg.«
»Stimmt«, sagte Lindsey abwesend, während sie seine Aufzeichnungen las. »Denk nur.«
»Carlyle, Kafka, Virgil. Bessere Gesellschaft kann man
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