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Die erste Nacht - Roman

Die erste Nacht - Roman

Titel: Die erste Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
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nichts zu tun«, erklärte er. »Nachdem die Polizisten Sie abgeführt hatten, kam der Richter wieder aus seinem Büro und trug mir auf, Sie am nächsten Mittag hier abzuholen. Ich soll Ihnen übrigens ausrichten, er hoffe, eine Nacht im Gefängnis habe Sie etwas Höflichkeit gelehrt. Ich übersetze nur.«
    »Und Keira?«, fragte ich sofort.
    »Drehen Sie sich um«, antwortete der Dolmetscher ruhig.
    Ich sah, wie sich das Tor erneut öffnete, und du herauskamst. Du trugst dein Bündel über der Schulter, warfst es zu Boden und ranntest auf mich zu.
    Nie vergesse ich den Augenblick, als wir uns vor diesem Gefängnis in die Arme fielen. Ich drückte dich so fest an mich, dass du fast erstickt wärst, aber du lachtest, und wir drehten uns, trunken vor Freude, im Kreis. Der Dolmetscher mochte hüsteln, so viel er wollte, und uns zur Ordnung rufen, es war sinnlos - nichts hätte diese Umarmung unterbrechen können.
    Zwischen zwei Küssen bat ich dich um Verzeihung, weil ich dich in dieses wahnsinnige Abenteuer verstrickt hatte. Du legtest die Hand auf meinen Mund, um mich zum Schweigen zu bringen.
    »Du bist gekommen, du bist gekommen, um mich hier rauszuholen«, sagtest du leise.
    »Ich habe versprochen, dich nach Addis Abeba zurückzubringen, erinnerst du dich?«
    »Ich habe dir dieses Versprechen abgerungen, aber ich bin unglaublich froh, dass du es gehalten hast.«
    »Und wie hast du es geschafft, diese Zeit durchzustehen?«
    »Ich weiß nicht, es war furchtbar lang, aber ich habe die Gelegenheit zum Nachdenken genutzt, das war das Einzige,
was ich tun konnte. Wir werden nicht sofort nach Äthiopien fliegen, denn ich glaube, ich weiß jetzt, wo sich ein weiteres Fragment befindet, und das ist nicht in Afrika.«
    Wir stiegen in den Wagen des Dolmetschers. Er brachte uns nach Chengdu, wo wir alle drei ein Flugzeug nach Beijing nahmen.
    Dort angekommen, drohtest du ihm, das Land nicht zu verlassen, wenn er dich nicht in ein Hotel brächte, wo du duschen könntest. Er sah auf seine Uhr und gab uns eine Stunde Zeit.
    Zimmer 409. Ich achte nicht auf den Ausblick, ich sagte dir schon, das Glück macht zerstreut. Ich sitze an dem kleinen Sekretär direkt vor dem Fenster, unter mir erstreckt sich Beijing, doch das ist mir völlig gleichgültig, ich habe nur Augen für das Bett, auf dem du liegst. Von Zeit zu Zeit siehst du mich an, räkelst dich und sagst mir, dir sei nicht bewusst gewesen, wie wunderbar es sei, in einem sauberen Bett zu liegen. Du nimmst das Kissen und wirfst es mir an den Kopf. Ich begehre dich erneut.
    Der Dolmetscher kocht sicher vor Wut, denn wir sind schon weit über eine Stunde hier. Du erhebst dich, und ich beobachte, wie du ins Bad gehst. Du schimpfst mich einen Voyeur, und ich versuche gar nicht erst, mich zu rechtfertigen. Ich bemerke die Narbe auf deinem Rücken, eine andere an deinem Bein. Du drehst dich um, und dein Blick gibt mir zu verstehen, dass du nicht darüber reden willst, zumindest nicht jetzt. Ich höre das Rauschen der Dusche, das Geräusch des Wassers gibt mir wieder Kraft und verhindert, dass du diesen Husten hörst, der mich überkommt wie eine böse Erinnerung. Einige Dinge werden nie wieder sein wie vorher. In China habe ich jene Leichtigkeit verloren, die mir früher so viel Sicherheit gab. Ich habe Angst, allein in diesem Zimmer zu bleiben, und sei es nur für wenige Minuten, selbst wenn mich bloß eine dünne
Wand von dir trennt. Doch ich fürchte nicht länger, es mir selbst einzugestehen, auch nicht, dir all dies zu gestehen.
    Am Flughafen hielt ich ein zweites Versprechen. Sobald unsere Bordkarten gedruckt waren, führte ich dich in eine Telefonzelle, um Jeanne anzurufen.
    Ich weiß nicht, wer von euch beiden angefangen hat, doch plötzlich begannst du, mitten auf diesem großen Terminal zu weinen. Du lachtest und schluchztest zugleich.
    Die Zeit drängte, wir mussten gehen. Du sagtest Jeanne, dass du sie liebst und von Athen aus anrufen würdest.
    Nachdem du aufgelegt hattest, brachst du erneut in Tränen aus, und ich hatte große Mühe, dich zu trösten.
    Am meisten erschöpft schien unser Dolmetscher. Als wir die Passkontrolle durchschritten, war ihm die Erleichterung anzusehen. Er war so froh, uns endlich los zu sein, dass er uns ständig durch die Scheibe zuwinkte.
    Es war Nacht, als wir das Flugzeug bestiegen. Du lehntest den Kopf an das kleine Fenster und schliefst ein, bevor wir abgehoben hatten.
    Beim Anflug auf Athen gerieten wir in Turbulenzen. Du ergriffst meine

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