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Die erste Nacht - Roman

Die erste Nacht - Roman

Titel: Die erste Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
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nieder, schlug mein Buch auf und begann zu lesen, ohne dabei die Uhr aus den Augen zu lassen. Vor mir hielt ein Taxi an, und ein Mann stieg aus. Er trug einen Regenmantel und in der Hand eine kleine Reisetasche. Er entfernte sich eilig auf dem Quais d’Orléans. Ich war mir sicher, sein Gesicht schon einmal irgendwo gesehen zu haben, konnte mich jedoch nicht an die Umstände erinnern. Er verschwand in einem Hauseingang.

    Keira hatte sich auf der Schreibtischkante niedergelassen.
    »Der Sessel ist bequemer«, sagte Max und hob den Blick von dem Dokument, das er studierte.
    »Ich bin in letzter Zeit keinen Komfort mehr gewöhnt.«
    »Warst du wirklich wochenlang im Gefängnis?«
    »Das habe ich dir schon gesagt, Max. Konzentrier dich bitte auf den Text und sag mir, was du davon hältst.«
    »Ich denke, seit du dich mit diesem Typen, der angeblich nur ein Kollege ist, eingelassen hast, ist dein Leben aus den Fugen geraten. Ich verstehe nicht, dass du ihn noch triffst, nach allem, was dir zugestoßen ist. Er hat deine Forschungen ruiniert, verdammt noch mal, ganz zu schweigen von dem Preis, den du für deine Arbeit erhalten hast. Solche Geschenke bekommt man nicht zweimal. Aber du scheinst das ja alles ganz normal zu finden.«
    »Max, was Moralpredigten angeht, habe ich eine Schwester, die Profi darin ist. Und wenn du dich auch noch so anstrengst, du kannst ihr nicht das Wasser reichen, so viel ist sicher. Also verschwende deine Zeit nicht damit. Was hältst du von meiner Theorie?«
    »Und wenn ich dir antworte, was machst du dann? Fährst du nach Kreta, um das Mittelmeer auszuloten, schwimmst du bis Syrien? Dein Handeln ist völlig unüberlegt. Du hättest in China draufgehen können, du bist wirklich total leichtfertig.«
    »Ja, total, aber wie du siehst, bin ich noch da. Natürlich könnte ich etwas mehr Sorgfalt …«
    »Werd bitte nicht frech!«
    »Hmm, Max, wie nett, wenn du mir gegenüber diesen Oberlehrerton anschlägst. Ich glaube, das hat mir als Studentin am besten an dir gefallen, aber ich bin nicht mehr deine Studentin. Du weißt nichts von Adrian und genauso wenig
von unserer Reise. Wenn also der kleine Gefallen, um den ich dich bitte, zu viel verlangt ist, dann macht das nichts, gib mir einfach das Papier zurück - und ich lasse dich in Ruhe.«
    »Sieh mir in die Augen und erklär mir, inwiefern dir dieser Text in irgendeiner Form bei den Forschungen helfen könnte, die du seit Jahren durchführst.«
    »Sag mal, Max, warst du früher nicht mal Archäologieprofessor? Wie viele Jahre hast du damit zugebracht, Wissenschaftler und dann Dozent zu werden, ehe du dich der Druckerei gewidmet hast? Sieh mich an und erklär mir, inwiefern dein neuer Beruf mit dem alten etwas zu tun hat. Das Leben ist voller Unwägbarkeiten, Max. Ich habe zweimal das Omo-Tal verlassen müssen, vielleicht wurde es Zeit, mir Fragen über meine Zukunft zu stellen.«
    »Redest du solchen Blödsinn, weil du derart in diesen Kerl verknallt bist?«
    »Dieser Kerl, wie du sagst, hat vielleicht jede Menge Fehler, er ist zerstreut, manchmal launisch, ungeschickt, wie es im Buche steht, aber er hat etwas, was ich vorher nie erlebt habe. Er ist mitreißend, Max. Seit ich ihn kenne, hat sich mein Leben in der Tat völlig verändert. Er bringt mich zum Lachen, rührt mich, provoziert und beruhigt mich.«
    »Dann ist es ja noch schlimmer, als ich vermutet habe. Du liebst ihn.«
    »Leg mir nichts in den Mund, was ich nicht gesagt habe.«
    »Du hast es gesagt, und wenn es dir nicht bewusst ist, dann bist du wirklich zu dumm.«
    Keira erhob sich und ging zu der Glasfront, von der aus man auf die Druckerei blickte. Sie beobachtete die Walzen, durch die lange Papierrollen rasten. Das Rattern der Falzanlage drang bis ins Zwischengeschoss. Schließlich hielten sie an, und in der Werkhalle, die jetzt geschlossen wurde, kehrte Stille ein.

    »Ist dir diese Feststellung unangenehm?«, fuhr Max fort. »Und was ist jetzt mit deiner schönen Freiheit?«
    »Kannst du dir nun den Text ansehen oder nicht?«, murmelte sie.
    »Seit deinem letzten Besuch habe ich deinen Text schon hundertmal durchgearbeitet. Das ist meine Art, an dich zu denken, wenn du nicht da bist.«
    »Bitte, Max.«
    »Was? Weil ich immer noch etwas für dich empfinde? Das kann dir doch egal sein, es ist mein Problem, nicht deins.«
    Keira ging zur Tür, legte die Hand auf die Klinke und wandte sich noch einmal um.
    »Bleib hier, du dummes Ding!«, befahl Max. »Setz dich auf meine

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