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Die erste Nacht - Roman

Die erste Nacht - Roman

Titel: Die erste Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
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Schreibtischkante, und ich sage dir, was ich von deiner Theorie halte. Ich habe mich vielleicht geirrt. Die Vorstellung, dass die Schülerin besser ist als ihr Dozent, gefällt mir nicht besonders, aber schließlich habe ich den Lehrberuf ja an den Nagel gehängt. Es ist möglich, dass in deinem Text das Wort Apogäum mit dem Wort Hypogäum verwechselt wurde, das ändert natürlich den Sinn. Hypogäen sind Totenstätten, die Vorläufer jener Grabmäler, die später von den Ägyptern und Chinesen in Pyramidenform errichtet wurden; sie unterscheiden sich nur in einem Punkt von ihnen: Zwar handelt es sich in beiden Fällen um Kammern, doch die Hypogäen sind unterirdische Gewölbe. Das ist dir vielleicht nicht neu, aber das wäre zumindest etwas, was bei dieser Deutung stimmen würde. Diese Handschrift auf Ge’ez stammt vermutlich ursprünglich aus dem vierten oder fünften Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung und wurde später übersetzt. Damit befinden wir uns in der Frühgeschichte, zur Entstehungszeit der asiatischen Völker.«
    »Aber die Semiten, die Verfasser dieser Handschrift sein sollen, gehören nicht zu den asiatischen Völkern.«

    »Du bist eine noch aufmerksamere Schülerin, als ich vermutet hätte! Nein, ihre Sprache ist das Afroasiatische und mit der der Berber und Ägypter verwandt. Im sechsten Jahrtausend vor Christus sind sie in der Syrischen Wüste aufgetaucht. Aber beide Stämme, die Semiten und die asiatischen Völker, hatten sicher Kontakt miteinander, und die einen haben vielleicht die Geschichte der anderen überliefert. Jene, die dich im Rahmen deiner Theorie interessieren, gehören einem Volk an, das ich in meinen Seminaren nicht sehr ausführlich behandelt habe, die Pelasger der Hypogäen-Kultur. Anfang des vierten Jahrtausends vor Christus verließen die Pelasger Griechenland und siedelten sich in Süditalien an. Auch auf Sardinien hat man Spuren gefunden. Dann setzten sie ihren Weg fort nach Anatolien, wo sie sich zu den Inseln und Küsten des Mittelmeers einschifften. Nichts beweist, dass ihre Reise sie nicht über Kreta nach Ägypten geführt hat. Was ich damit sagen will, ist, dass die Semiten oder ihre Vorfahren durchaus in dieser Handschrift ein Ereignis beschreiben können, das in die Geschichte der Pelasger der Hypogäen-Kultur gehört.«
    »Glaubst du, einer dieser Pelasger hätte den Nil bis zum Blauen Nil hinauffahren können?«
    »Bis nach Äthiopien? Das bezweifele ich, aber wie dem auch sei, eine solche Reise kann nicht von einem Einzelnen, sondern nur von einer Gruppe unternommen worden sein. Innerhalb von zwei, drei Generationen könnten sie diese vielleicht abgeschlossen haben. Davon abgesehen tendiere ich eher zu der Meinung, dass sie in der anderen Richtung durchgeführt wurde, nämlich von der Quelle zur Mündung. Vielleicht hat jemand dein mysteriöses Objekt zu den Pelasgern gebracht. Wenn ich dir helfen soll, musst du mir mehr darüber sagen, Keira.«
    Keira begann, im Zimmer auf und ab zu laufen.

    »Vor über vierhundert Millionen Jahren bildeten fünf solcher Fragmente ein Ganzes mit mehr als erstaunlichen Eigenschaften.«
    »Das ist lächerlich, Keira, das musst du doch zugeben. Zu dieser Zeit war kein Lebewesen weit genug entwickelt, um irgendeinen Werkstoff zu bearbeiten. Das ist völlig unmöglich, das weißt du genauso wie ich.«
    »Wenn Galilei behauptet hätte, man würde eines Tages ein Radioteleskop an die Grenzen unseres Sonnensystems schicken, hätte man ihn bei lebendigem Leibe verbrannt, noch ehe er den Satz zu Ende gesprochen hätte. Wenn Clément Ader verkündet hätte, man würde eines Tages auf dem Mond herumspazieren, hätte man seine Flugmaschine auseinandergenommen, bevor er hätte abheben können. Noch vor zwanzig Jahren wurde behauptet, Lucy sei unsere Urmutter, und hättest du damals die Theorie aufgestellt, dass die Mutter der Menschheit zehn Millionen Jahre alt sei, hätte man dich auf der Stelle von der Uni entlassen!«
    »Vor zwanzig Jahren habe ich noch studiert.«
    »Kurz, wenn ich alles aufzählen sollte, was für unmöglich erklärt wurde und sich dann doch bewahrheitet hat, würden wir beide mehrere Nächte brauchen, um die Liste aufzustellen.«
    »Eine würde mich schon glücklich machen.«
    »Du bist anzüglich, Max! Ich bin mir auf alle Fälle sicher, dass vier- oder fünftausend Jahre vor unserer Zeit irgendjemand dieses Objekt entdeckt hat. Aus Gründen, die ich mir noch nicht erklären kann - ausgenommen vielleicht, dass seine

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