Die erste Nacht - Roman
und sah dem Wagen nach. Ein feiner Nieselregen setzte ein, er stützte sich auf seinen Schirm, um sich zu erheben, und entfernte sich nun seinerseits.
Moskau
Das Zimmer im Moskauer Hotel Intercontinental roch nach kaltem Rauch. Kaum waren wir eingetreten, riss Keira trotz der Minusgrade das Fenster auf.
»Tut mir leid, es war nur noch dieses frei.«
»Hier stinkt’s nach Zigarren, pfui Teufel.«
»Noch dazu von schlechter Qualität«, fügte ich hinzu. »Sollen wir ein anderes Hotel suchen? Ich kann auch nach zusätzlichen Decken und Anoraks fragen …«
»Wir wollen keine Zeit verlieren, lass uns gleich zur Archäologischen Gesellschaft gehen. Je eher wir erfahren, wo Egorov ist, umso eher können wir von hier weg. Mein Gott, wie mir die Düfte des Omo-Tals fehlen!«
»Ich habe dir versprochen, dass wir eines Tages zurückkehren - sobald all das hier vorbei ist.«
»Manchmal frage ich mich, ob all das, wie du sagst, jemals vorbei sein wird«, brummte Keira und schloss die Zimmertür ab.
»Hast du die Adresse der Archäologischen Gesellschaft?«, fragte ich sie im Aufzug.
»Ich weiß nicht, warum Thornsten sie noch immer so bezeichnet. Ende der Fünfzigerjahre wurde die Archäologische Gesellschaft in Akademie der Wissenschaften umbenannt.«
»Akademie der Wissenschaften? Was für ein hübscher Name, vielleicht finde ich dort einen Job, wer weiß.«
»In Moskau? Sonst noch was?«
»Weißt du, auf dem Atacama-Hochplateau hätte ich ebenso gut für eine russische Delegation arbeiten können. Den Sternen ist das egal.«
»Klar, und für deine Berichte wäre das auch praktisch. Du musst mir mal zeigen, wie du auf einer kyrillischen Tastatur tippst.«
»Ist Rechthaben für dich ein Bedürfnis oder eine Obsession?«
»Beides ist nicht unvereinbar. Gehen wir jetzt?«
Draußen blies ein eisiger Wind, und wir stiegen schnell in ein Taxi. Keira versuchte, dem Fahrer unser Ziel zu erklären, da er aber kein Wort verstand, entfaltete sie den Stadtplan und deutete auf die Adresse. Wer sich über die Ruppigkeit der Pariser Taxifahrer beklagt, sollte sein Glück einmal in Moskau versuchen. Die Straßen waren streckenweise vereist, was unseren Chauffeur nicht zu beeindrucken schien. Der alte Lada geriet ständig ins Rutschen, doch es gelang dem Fahrer jedes Mal, ihn wieder unter Kontrolle zu bringen.
Keira sprach am Eingang der Akademie vor, wies sich aus und erklärte, sie sei Archäologin. Der Pförtner schickte sie ins Sekretariat. Dort empfing uns eine freundliche Assistentin, die passabel Englisch sprach. Keira erklärte ihr, dass wir gerne mit einem gewissen Professor Egorov Kontakt aufnehmen würden, der in den Fünfzigerjahren die Archäologische Gesellschaft geleitet hatte.
Die junge Frau war verwundert, sie hatte nie von einer solchen Gesellschaft gehört, und die Aufzeichnungen der Akademie der Wissenschaften reichten nur bis zu ihrer Gründung im Jahr 1958 zurück. Sie bat uns zu warten und kam eine halbe Stunde später in Begleitung ihres Vorgesetzten, eines Mannes um die sechzig, zurück. Er stellte sich vor und bat uns, ihm in sein Büro zu folgen. Die junge Frau, die übrigens ganz bezaubernd
war, verabschiedete sich und ging. Keira versetzte mir einen Tritt in die Wade und fragte, ob ich ihre Hilfe brauchte, um die Telefonnummer herauszubekommen.
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, erwiderte ich und rieb mir das Bein.
»Halt mich nicht für blöd!«
Das Büro, das wir betraten, hätte Walter vor Neid erblassen lassen. Durch ein großes Fenster, hinter dem dicke Schneeflocken tanzten, drang helles Licht ins Innere.
»Das ist nicht die beste Zeit für einen Besuch in unserem Land«, erklärte der Mann und bat uns, Platz zu nehmen. »Für heute Nacht, spätestens morgen, ist ein heftiger Schneesturm angesagt.«
Er öffnete eine Thermoskanne und schenkte uns dampfenden Tee ein.
»Ich habe vielleicht die Spur von diesem Egorov gefunden«, erklärte er. »Darf ich wissen, warum Sie ihn treffen möchten?«
»Ich mache Forschungen über die Migrationen in Sibirien im vierten Jahrtausend und habe gehört, dass er sich bei diesem Thema gut auskennt.«
»Das ist möglich«, sagte der Mann, »selbst wenn ich einige Zweifel habe.«
»Warum?«, wollte Keira wissen.
»Die Archäologische Gesellschaft war der Deckname für einen bestimmten Zweig des Geheimdienstes. In der Sowjetunion wurden Wissenschaftler nicht weniger überwacht als alle anderen, im Gegenteil. Unter diesem hübschen Namen hatte
Weitere Kostenlose Bücher