Die erste Todsuende
unterschätzen, und er sann darüber nach, was für ein Mensch der Stellvertretende Commissioner Broughton wohl sein mochte, der ihn mit allen Mitteln zur Strecke bringen wollte. Oder war Handrys anonymer „hoher Polizeibeamter" jemand anders?
Blank ging sein Vorgehen noch einmal sorgfältig durch, konnte jedoch nur zwei schwache Glieder entdecken. Das eine bestand darin, daß er jedem seiner Opfer irgendwelche Ausweise abgenommen hatte und daß die Polizei im Falle einer Haussuchung genügend Material entdecken würde, um ihn mit den Morden in Verbindung zu bringen.
Das zweite Problem war wesentlich ernster: Celia Montforts Kenntnisse von dem, was er getan hatte.
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„Erotica", die Sex-Boutique von Florence und Samuel Morton, lag an der oberen Madison Avenue zwischen einem Delikatessenladen und einem hundert Jahre alten Geschäft, in dem Sättel und Polo-Schläger verkauft wurden. Flo und Sam hatten beschlossen, die Weihnachtssaison mit ihren verlängerten Öffnungszeiten mit einer open Aowse-Party einzuleiten; es gab für alle Kunden, ob alt oder neu, schwedischen Glug gratis und ein phantastisches kaltes Büffet mit exotischen Leckerbissen wie gebratenen Grashüpfern und schokoladeüberzogenen Ameisen.
Daniel Blank und Celia Montfort, die das Fest natürlich besuchten, waren darüber hinaus aufgefordert worden, hinterher mit zu Mortons nach Hause zu kommen, wo man sich etwas handfesteren Genüssen hingeben wollte.
Die Boutique war überheizt, die Luft duftgeschwängert. Zwei antike byzantinische Räuchergefäße hingen in den Ecken; ihrer durchbrochenen Schale entquoll ein „Orgasmus" genannter Moschus-Weihrauch, der zu den Bestsellern von „Erotica" gehörte. Die Kunden gaben Hut und Mantel bei einer Verkäuferin ab, einer ungewöhnlich schönen, aber mürrischen Japanerin in einem durchsichtigen Pyjama, unter dem sie nichts anhatte. Kaum zu glauben, aber sie hatte blondes Schamhaar.
Celia und Daniel standen an der Seite, beobachteten die hektische Szene und tranken kleine Gläser von kräftig gewürztem, dampfendem Glug. Der Laden war gesteckt voll von meist jungen Leuten, alle reichlich überspannt und nach der letzten Mode gekleidet - oder vielmehr: verkleidet. Ihr Lachen klang schrill, und ihre Bewegungen waren ruckhaft, als sie sich durch den Laden schoben, Kerzen in Phallusform und Bände mit Zeichnungen von Aubrey Beardsley betrachteten, Leder-Büstenhalter und Suspensorien in Form einer gierig zupackenden Hand begutachteten.
„Wie erregt sie sind", sagte Daniel Blank. „Die ganze Welt ist erregt."
Celia sah ihn an und lächelte schwach. Das in der Mitte gescheitelte schwarze Haar umrahmte ihr Hexengesicht. Wie gewöhnlich trug sei kein Make-up, obwohl man hätte denken können, sie habe Lidschatten aufgelegt, so auffallend müde und matt sah sie um die Augen aus.
„Über was denkst du nach?" fragte sie ihn, und ihm ging erneut auf, wie sehr Ideen, abstrakte Ideen, sie erregten.
„Über die Welt", sagte er und blickte sich um. „Über die Geilheit der Welt. Über die Menschen von heute. Wie erregt sie alle sind."
„Sexuell erregt?"
„Das in erster Linie. Aber auch sonst. Politisch. Geistig, nehme ich an. Gewalttätigkeit. Das Neue. Der schreckliche Hunger nach allem, was neu ist, was anders ist, was 'in' ist. Alles scheint immer schneller und schneller zu gehen. So ist es doch nicht immer gewesen, oder?"
„Nein", sagte sie.
„Das 'in-Sein"', sagte er. „Warum sie es wohl 'in' nennen? Durchdringung?"
Jetzt sah sie ihn neugierig an. „Bist du betrunken?" fragte sie.
Er war überrascht. „Von zwei Gläschen Glühpunsch? Nein." Er lachte. „Ich bin nicht betrunken."
Mit warmen Fingern berührte er ihr Gesicht. Sie packte seine Hand, wandte ihr Gesicht, um seine Fingerspitzen zu küssen, steckte dann seinen Daumen in den Mund, liebkoste ihn mit der Zunge und zog ihn behutsam wieder heraus. Rasch sah er sich im Raum um; niemand hatte es gesehen.
„Ich wünschte, du wärest meine Schwester", sagte er leise.
Sie schwieg einen Moment, ehe sie sagte: „Warum hast du das gesagt?"
„Ich weiß nicht. Ich hab nicht darüber nachgedacht. Es ist nur so hingesagt."
„Hast du den Sex satt?" fragte sie listig.
„Was? Aber nein. Nein. Es ist nur..." Er zeigte auf das Gedränge im Laden. „Es ist nur, daß sie es auf diese Weise nicht finden werden."
„Was finden werden?"
„Ach... du weißt schon. Die Antwort." Er blickte sich um. „Irgend etwas geht mit mir vor. Ich sehe
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